Am Fuss des hohen Kastens herrscht die pure Idylle. Zumindest unter normalen Umständen. Doch hier schlummert mit dem Lienzer Bach auch eine grosse Gefahr. Nicht wegen des Wassers. Der Bach kann bei grossen Regenmassen zwar rasch anschwellen, doch es sind insbesondere die massiven Felsbrocken, welche der Stadt Altstätten Sorgen bereiten.
«Der Lienzer Bach gehört zu den bedrohlichsten Gewässern im Kanton St.Gallen», schreibt die Verwaltung. Antonio di Natale, Leiter Bachprojekte vom Altstätter Tiefbauamt doppelt nach: «Die Frage ist nicht, ob ein neuer Murgang kommt, sondern wann.»
Lienz liegt in der roten Zone
Das Dorf Lienz ist eine Exklave der Stadt Altstätten. Und es erinnert nicht nur vom Namen her an die beiden Brienz aus Graubünden und Bern: Auch im Rheintal hat es bereits grosse Rutschungen gegeben.
Etwa 1967, als Lienz verwüstet wurde. Mehrere Häuser wurden zerstört, Strassen und Wiesen verschwanden unter 40'000- 50'000 Kubik Geröll und Schlamm. Das ist vergleichbar mit dem Murgang im Glarner Dorf Schwanden.
Der Schaden ging in die Millionen, eine ältere Frau starb, vermutlich durch den Schock.
Das Dorf Lienz in der Gewässerschutzkarte des St.Galler Geoportals in einer roten Zone. In der Vergangenheit wurden bereits Sicherheitsmassnahmen getroffen, doch Altstätten will den Schutz ausbauen.
12 Tonnen schwere Steine
Der Murgang von 1967 gilt als der Verheerendste, doch er war beim weiten nicht der Einzige. «Seit 1938 hatten wir sicher acht Murgänge», sagt Di Natale, der sich mit der Geschichte des Lienzer Bachs auseinandergesetzt hat.
Dass es wieder Murgänge geben werde, sei sicher. Im Bachbett lägen riesige Felsbrocken mit einem Gewicht von bis zu zwölf Tonnen, die mit genug Wasser jedoch fortgeschwemmt werden könnten. «Zwei Schutznetze bestehen bereits, diese lösen bei einer gewissen Krafteinwirkung auch einen Alarm aus», sagt der Bachprojekt-Chef, «Die Tragfähigkeit dieser Netze ist jedoch beschränkt.»
Um das Risiko einzudämmen, hat die Stadt verschiedene Pläne ausgearbeitet. Diese sollen Ende Oktober der Bevölkerung präsentiert werden, sagt Di Natale.
Langjähriges Projekt
Das Vorprojekt läuft bereits seit einiger Zeit und wurde dem Bundesamt für Umwelt und dem Kanton St.Gallen zur Vernehmlassung vorgelegt. «Uns wurde mitgeteilt, dass wir die Situation ganzheitlich betrachten müssen. Also unter Miteinbezug des gesamten Gewässerraums, der Landschaft und dem Wald», sagt Di Natale.
Aus den vielen Konzepten hätten sich vier Varianten herauskristallisiert, die umsetzungs- und bewilligungsfähig wären. Zum Inhalt will der Projektleiter nichts sagen, der werde bei der Informationsveranstaltung in Lienz am 31. Oktober öffentlich gemacht. Nur so viel: Sie unterscheiden sich in Umfang und Kosten. Dass diese in die Millionen gehen werden, liegt jedoch auf der Hand.
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Baustart weit weg
Nach dem Informationsanlass mit der Bevölkerung reicht Altstätten das Variantenstudium «Lienzer Bach» erneut beim Kanton und Bund ein. Da sie mit 60 bis 70 Prozent den Grossteil der Kosten tragen, dürfen sie bei der Auswahl der Variante massgeblich mitbestimmen.
Di Natale rechnet aber auch mit einem gewissen Gegenwind aus der Bevölkerung: «Es handelt sich um ein emotionales Thema. Hochwasserschutzmassnahmen brauchen Platz – und davon sind private Grundeigentümer betroffen.»
Dass die Landwirte davon nicht begeistert sein werden, kann Di Natale nachvollziehen. Auch, dass es Einsprachen und zuletzt wohl eine Volksabstimmung geben wird. «Das ist völlig legitim», sagt er, fügt jedoch an: «Für den Grossteil der Lienzer steht die Sicherheit an oberster Stelle. Es ist unsere Aufgabe, diese zu gewährleisten.»
Ein Baustart im Jahr 2028 oder 2029 wäre aus seiner Sicht ein Erfolg. Bis dahin bleibt eine gewisse Restunsicherheit in Lienz. Denn der nächste Murgang kommt irgendwann.