«Man kann nicht verhindern, dass der Wolf einzelne Schafe reisst»
Quelle: TVO
Mitten im TVO-Interview klingelt bei Rolf Wildhaber das Handy. Zwei neue Schafe soll der Wolf gerissen haben berichtet ein Schafhirte von einer Alp oberhalb von Flums. Wildhaber rückt sofort aus, um sich die beiden Tiere genauer anzuschauen. Die Kamera von TVO darf den Wildhüter im St.Galler Oberland spontan begleiten.
Es kann nur das Werk des Wolfs sein
«Wenn es Wolfsrisse gibt, sind die Schafe oftmals nicht ganz tot, sondern nur verletzt. Vom Tierschutz her muss ich das Tier dann vom Leiden erlösen», sagt Wildhaber, nimmt sein Gewehr aus dem Kofferraum und geht die restliche Strecke bis zum toten Schaf zu Fuss.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Wolf hier ein Schaf gerissen hat. Der Wildhüter findet den Kieferknochen eines Tieres vom vergangenen Sommer. «Genau hier hatte ich letztes Jahr eine Wolfsrissbeurteilung. Der Knochen ist wahrscheinlich von jenem Schaf übriggeblieben.»
Ein wenig weiter oben liegt dann das tote Schaf. Fliegen machen sich bereits über den Kadaver her. Der Schafhirte möchte wissen, ob der Wolf zugeschlagen hat. Die Autopsie ergibt: Es kann nur das Werk des Wolfs sein. Ausschlaggebend seien die tiefen Bissspuren im Fleisch des Schafs. «Das ist klassisch Wolf: brachial. Der Wolf hat dem Tier den ganzen Kehlkopf weggerissen», sagt Wildhaber.
«Solange es nur fünf bis zehn Schafe sind, bin ich froh»
Der Fund wird minutiös dokumentiert, denn gegenüber den Behörden muss alles belegt werden. Dabei geht es auch um Geld, bei einem Wolfsriss zahlt nämlich der Bund 80 Prozent und die Kantone 20 Prozent des Verlusts an den Tierhalter. Ausserdem ist Wildhaber wichtig, dass nicht irgendwelche toten Schafe dem Wolf «zugeschoben» werden.
Schafhirt Urs Brechbühl, der für die insgesamt 600 Schafe auf dieser Alp verantwortlich ist, schaudert es beim Anblick des blutigen Schafskadavers. Jedes tote Tier, ob nun vom Wolf gerissen oder zu Tode gestürzt, sei eines zu viel. Er bewacht seine Tiere mit Herdenschutzhunden, macht sich aber keine Illusionen über einen hundertprozentigen Schutz: «Man kann einfach nicht verhindern, dass es einzelne Wolfsrisse gibt. Solange es im Rahmen von fünf bis zehn Schafen ist, bin ich froh.»
40 Schafe innerhalb von zwei Wochen
Beim zweiten toten Schaf auf dieser Alp stellt sich dann heraus, dass nicht der Wolf für den Tod des Tieres verantwortlich ist, sondern Steinschlag. «Bisse eines Wolfes würden niemals ein solches Verletzungsbild ergeben», sagt Wildhüter Wildhaber.
Trotzdem: Der Wolf hat möglicherweise schon das nächste Schaf im Visier. Experten vermuten, dass im Sarganserland ein Wolfspaar unterwegs und für rund 40 Risse innerhalb von zwei Wochen verantwortlich ist.
Abschuss des Wolfes nicht gerechtfertigt
Stimmen, die nun einen Abschuss der Wölfe verlangen, klärt Dominik Thiel, Leiter des Amtes für Natur, Jagd und Fischerei auf: «Für einen Abschuss muss der Wolf mindestens 25 Nutztiere innerhalb eines Monats oder 35 in drei Monaten reissen. Angerechnet werden aber nur Nutztiere, welche geschützt sind. Bei den betroffenen Schafherden war der Schutz nicht oder zu wenig vorhanden.»
Thiel erwartet, dass das Wolfspaar im Sarganserland dieses Jahr Jungtiere bekommen könnte, möglicherweise auch erst später. Doch auch ohne Nachwuchs droht dem Sarganserland Ungemach, denn eines oder mehrere der sieben Wolfsrudel mit Nachwuchs aus dem Kanton Graubünden könnte schon bald den Weg in die Region finden.
(chf)