Verlassen. Und ziemlich trostlos. So liesse sich der Tatort in Wattwil wohl am besten beschreiben. Am Tag nach dem Tötungsdelikt im Toggenburg haben sich FM1Today und TVO einen Eindruck vor Ort verschafft. Und durch Anwohnerinnen und Anwohner zumindest vereinzelt Details rund um den tödlichen Streit erfahren.
Halbvolle Bierdosen, ungeöffnete Briefumschläge
Ein 49-jähriger Mann wird am Sonntagabend an der Wilerstrasse reanimiert, verstirbt aber nach 19 Uhr. Eine 53-jährige Brasilianerin hat mutmasslich ein Messer gegen den Mann eingesetzt. Sie wurde daraufhin in der Wohnung des Opfers festgenommen.
Bei der Ankunft auf dem Dorfplatz einen Tag später erinnert nicht viel an die mutmassliche Bluttat vom Wochenende. Aber siehe da: Ein Auto der Kantonspolizei St.Gallen ist vor dem Hauseingang parkiert.
Das Haus selbst wirkt verlassen, einige Fenster sind von aussen abgeklebt. Vor dem Eingang stehen halbvolle Bierdosen, ungeöffnete Briefumschläge bedecken den Boden. Zudem liegt ein unangenehmer Geruch in der Luft. Zumindest improvisierte Klebeband-Namensschilder und ein «Zimmer zu vermieten»-Plakat erwecken den Eindruck, dass hier tatsächlich Menschen wohnen. Klingelversuche bleiben jedoch unbeantwortet.
Eine ehemalige Burgerbude
Wohl schon seit geraumer Zeit wird eine neue Mieterin oder ein neuer Mieter für das Haus im Dorf gesucht. Im Erdgeschoss der Liegenschaft befand sich vor einiger Zeit ein Restaurant. Die Autos, welche scheinbar ursprünglich für Lieferungen dieser ehemaligen Burgerbude angeschafft wurden, machen nicht den Eindruck, in einsatzfähigem Zustand zu sein. An den Fahrzeugen ist kein Nummernschild angebracht, die Karosserie ist übersät mit Moos, welches sich über die Zeit gebildet hat.
In einem Coiffeurgeschäft gegenüber der Strasse wischt die Inhaberin die letzten Haare ihres Gastes auf. Als wir ihren Salon betreten, ahnt sie schon, wieso wir mit ihr ins Gespräch kommen wollen. «Mein Sohn hat mir von einem Grosseinsatz von Polizei und Rettung berichtet. Ich selbst habe aber nichts davon mitbekommen, ich war nicht hier.»
Liebespärchen soll im Dorf bekannt gewesen sein
Gleiches Szenario in einem Imbissladen unweit des Tatorts. Ein Mitarbeiter bereitet kurz vor der Mittagspause Menüs für Schülerinnen und Schüler zu. «Ich bin im Stress. Habe eigentlich keine Zeit», gibt er uns zu verstehen. Er erklärt aber trotzdem: «Als es gestern Abend laut geworden ist, habe ich das natürlich auch mitbekommen. Ich habe mich gefragt, was los ist.»
Noch bevor das Telefon seines Take-Away-Restaurants für die nächste Bestellung klingelt, sagt er uns abschliessend: «Ganz aussergewöhnlich erscheint mir das Ganze nicht. Im Dorfzentrum ist die Polizei immer mal wieder unterwegs, Leute sorgen immer mal wieder für Ärger.» Danach widmet er sich wieder seinem Kerngeschäft und macht die nächste Essensbestellung für seine Gäste bereit.
Just als wir den Imbissladen verlassen, treffen wir eine Anwohnerin. Sie verrät uns: «Ich kenne die Frau. Sie war oft laut und betrunken. Man hat die Beiden häufig auf der Strasse gehört, sie stritten sich von Zeit zu Zeit, waren ein Liebespaar.» Und weiter: «Mehr weiss ich aber nicht.» Und mehr Zeit hat die Dame auch nicht. Sie müsse wieder zur Arbeit, erzählt sie.
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«Nicht, dass jemand abschleicht»
Der Todesfall scheint also wirklich ein Gesprächsthema im Dorf zu sein, was aber wirklich hinter dem Tötungsdelikt steckt, weiss niemand ganz genau.
Auch Anton Keller nicht. Er wohnt ebenfalls in Wattwil, in der Nähe der Wilerstrasse. «Erst als der Leichenwagen angefahren kam, ahnte ich allmählich, was geschehen sein könnte. Am Anfang hatte ich keine Ahnung, was hier passiert», schildert er seine Erlebnisse vom Vorabend. «Die Polizei hat den Eingang des Hauses blockiert. Und so wahrscheinlich verhindert, dass jemand abschleichen konnte.»
Ganz unbekannt sind ihm der verstorbene 49-jährige Mann und die festgenommene 53-jährige Brasilianerin aber nicht. «Ich habe das Pärchen ab und zu gesehen. Am Morgen verliessen sie das Haus, am Abend kamen sie wieder hierhin zurück.» Er erinnert sich zudem: «Es gab schon mal einen Schusswechsel hier, vor ungefähr zwei Jahren. Damals war das Restaurant noch in Betrieb.» Trotz dieser beiden Ereignisse ganz in der Nähe seiner Wohnung lebe der ältere Herr aber nicht in Angst. Schliesslich habe er nichts mit diesen Leuten zu tun gehabt.
Vorboten des Streits bereits am Samstag – oder Donnerstag?
Der Schock der Szene, welche einem Hollywood-Krimifilm ähnelt, sitzt am Montag bei Didi Mcirdi tief. Der Sicherheitschef eines Industriegebäudes patrouilliert gerade durch das Haus, als er Sirenen und Blaulicht wahrnimmt. Kurzerhand macht er sich auf an die Wilerstrasse, nimmt Videos von den Geschehnissen vor Ort auf. «Ich dachte für mich, das muss etwas Gröberes sein», erklärt er. «Vor Ort war der Teufel los.»
«Bereits am Donnerstag hat meine Tochter, welche in der Nähe des Tatorts wohnt, Geschrei aus dem Haus gehört.» Am Samstag rückt dann auch eine Patrouille der Kantonspolizei St.Gallen aus, deeskaliert die Situation erfolgreich, wie Mediensprecher Hanspeter Krüsi mitteilt.
Wie es zu diesem Streit gekommen ist und wie die Beziehung der beiden Personen zueinander war, klärt die Kantonspolizei St.Gallen nun ab. Zur Tat vom Sonntag bleibt noch viel im Dunkeln verborgen. Oder wie es bekannterweise jeweils heisst, das ist «Gegenstand der laufenden Ermittlungen».