«Schaufenster waren früher ein Erlebnis»

05.09.2018, 16:10 Uhr
· Online seit 07.05.2018, 10:40 Uhr
Nostalgiker, Edel-Messi und ein Mann mit Liebe zum Detail: René Engeler hat das Bild der Stadt St.Gallen mitgeprägt. Jedoch nicht durch Bauten, sondern durch originelle, aufwendige Schaufenster. Der Dekorateur tritt nun kürzer und räumt sein Lager in St.Gallen.
Stefanie Rohner
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Tausende Gegenstände sind bei René Engeler im Lager zu finden. Mit ihnen hat er unzählige Schaufenster dekoriert und Geschichten erzählt. Geschichten, die Engeler ebenso zu Tausenden erzählen kann. «Andere sehen hier nur Dekoration und andere Gegenstände. Ich sehe Geschichten und Menschen, die ich durch diese Gegenstände kennengelernt habe», sagt Engeler.

Er ist ein Mensch, der den Kontakt zu anderen schätzt und auch zum zentralen Punkt seiner Arbeit gemacht hat. Passioniert hat er Ideen für Schaufenster umgesetzt. Wenn er erzählt, ist er wieder zurück in jener Zeit, mit leuchtenden Augen und einem Schmunzeln auf der Lippe. Seine 70 Jahre merkt man ihm keineswegs an.

Bombendrohung in den 68ern

Früher, da waren die Geschäfte sehr darauf bedacht, ihre Schaufenster schön und zeitgemäss zu dekorieren. «Damals war es so, dass die Schaufenster während einer Woche hinter einem Vorhang versteckt waren, während wir sie gestaltet haben. War ein Fenster fertig, wurde es eröffnet und viele Menschen kamen, um es zu bestaunen», sagt Engeler.

Engeler arbeitete manchmal in einem Team mit bis zu 25 Dekorateuren und war für verschiedene grosse Geschäfte in der ganzen Schweiz zuständig. Er war einer, der gerne auch ein wenig frech war, provoziert hat und mit den Emotionen spielte. «Wir haben einmal ein Optiker-Schaufenster mit Pissoirs dekoriert. Die Aussage war, dass man mit einer neuen Brille wieder zielsicher ist», sagt Engeler. Was er nicht so mochte war, wenn es im Schaufenster politisch wurde.

«Wir haben ein Schaufenster im Hippie-Look dekoriert. Es hatte eine Anspielung auf den Vietnam-Krieg. Wir erhielten daraufhin eine Bombendrohung. Wir sollen das Schaufenster räumen, sonst würde es von ihnen geräumt», sagt Engeler.

Anonyme Lippenstift-Malerin

Rückmeldungen gab es immer, aber eine war besonders speziell. Eine Frau hat mit ihrem Lippenstift immer auf das fertige Schaufenster geschrieben, was sie davon hält. Hat es ihr gefallen, hat sie ein Herz gemalt, missfiel es ihr, gab es einen Blitz, sagt Engeler amüsiert.

Sie habe stets einen Kommentar hinterlassen. Wer sie war, weiss Engeler bis heute nicht. «Zuerst hat es uns geärgert, weil es schwierig war, den Lippenstift zu putzen. Aber irgendwann war es unsere Art von Kommunikation. Ich hätte sie gerne kennengelernt.»

Heute muss es schnell gehen

Seit nunmehr 53 Jahren führt er seinen Job mit Leidenschaft aus. Er ist ein Ästhet, der Gestaltung liebt. Begonnen hat er als junger Man in der Dekorationsabteilung von Schuhe Grob in St.Gallen. Daraus ist schliesslich die Firma Creativ-Display entstanden. Bekannt war Engeler vor allem durch seine Schaufenster bei Külling Optik. Man wusste, er hat die Idee entwickelt und umgesetzt.

«Dort durfte ich meiner Kreativität freien Lauf lassen. Der Inhaber sagte mir immer, wenn er wieder Reklamationen erhalten würde, hätte ich meine Arbeit richtig gemacht», sagt Engeler und lacht. Mit den Jahren hat sich die Branche stark verändert, heute muss es schneller gehen.

«Meinen Beruf gibt es in der alten Form eigentlich nicht mehr. Heute ist der Dekorateur nicht mehr gern gesehen in den Geschäften, er stört den Verkaufsbetrieb. Das ist schade und stimmt mich schon etwas wehmütig.» Seiner Meinung nach sehen die Schaufenster der grossen Ketten in allen Städten gleich aus.

Gerade wenn man das Handwerk noch in der Blütezeit der Dekorateure gelernt habe, sei der Unterschied zu heute extrem. Gelernt hat er bei Walter Knapp im Globus. «Das war die Adresse, wenn man schöne Schaufenster gestalten wollte», sagt Engeler. Knapp sei ein sensationeller Lehrmeister gewesen und er erinnert sich gerne an die Zeit zurück.

Eine Lebenseinstellung

Auch wenn die Zeit die Schaufenster verändert hat, will er doch nicht allzu wehmütig werden. «Dekorationsgestalter zu sein war für mich eine Lebenseinstellung. Ich habe das immer gern gemacht und hatte das Glück, einen Beruf zu erlernen, den ich auch ohne Geld zu verdienen gemacht hätte. Deswegen tut es schon etwas weh, wie man heute damit umgeht und wie schnell es gehen muss», sagt Engeler. Man habe keine Zeit mehr.

«Vielleicht», so hofft er, «geht man irgendwann wieder zurück zu den Wurzeln. Das wäre schön». Engeler liebt es, Fantasiewelten zu erschaffen, die Menschen in eine Welt eintauchen lassen, die sonst weit weg wäre.

«Schaufenster waren ein Erlebnis früher, die viele Überraschungen parat hielten. Die Dekorateure machten sich manchmal einen Spass daraus, wie eingefroren dazustehen und die Leute mit einer abrupten Bewegung zu erschrecken.»

Ein klein wenig Trennungsschmerz

Nun tritt der leidenschaftliche Dekorateur kürzer und schliesst die Tore zu seinem Lager in St.Gallen. Deswegen führt er am 11. und 12. Mai einen Lagerverkauf an der Langgasse 86a durch. Zu finden ist so ziemlich alles: Von Möbeln, über Arbeitsinstrumente bis hin zu Dekoartikeln.

«Es tut mir nicht weh, die Sachen zu verkaufen. So hat noch jemand anders Freude daran, das mildert den Trennungsschmerz. Mir tut es nicht wegen dem Materiellen weh, aber wegen den Geschichten und Menschen, die ich damit verbinde», sagt Engeler.

Langweilig wird es ihm auch nicht, wenn er kürzer tritt. «Ich kann auch zu Hause gestalten und dekorieren. Ausserdem bleiben meine engsten Kunden, die inzwischen zu Freunden geworden sind.»

Und sollte es ihm dennoch mal zu ruhig werden, so kann er in seinen vielen Erinnerungen schwelgen. Wahrscheinlich huscht ihm auch dann wieder ein Lächeln über das Gesicht.

(str)

 

 

 

veröffentlicht: 7. Mai 2018 10:40
aktualisiert: 5. September 2018 16:10

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