Es ist ein mittlerweile bekanntes Bild: Man flaniert über den Vadianplatz Richtung Kloster. Schon von weit her kann man das rote Banner sehen. «Dianetik» steht in grossen gelben Lettern geschrieben - der Leitfaden der Scientologen. Freundlich und eher zurückhaltend stehen die Mitglieder der religiösen Glaubensgemeinschaft bei ihrem Stand und versuchen, das Buch ihres geistigen Führers L. Ron Hubbard unter die Leute zu bringen.
Wenig Mitglieder in St.Gallen
Insgesamt 26 Standaktionen der Scientologen sind in diesem Jahr in der Stadt St.Gallen geplant - 14 mehr als noch 2017. Scientology Schweiz bestätigt die vermehrte Präsenz in der Stadt St.Gallen. «Wir sind aber auch in vielen anderen Städten vertreten. In Zürich zum Beispiel alle zwei Wochen», sagt Jürg Stettler, Präsident der Scientology Kirche in Zürich. Eine eigene Kirche für die Stadt St.Gallen sei aber nicht geplant. Auch weil es in der Stadt selbst noch sehr wenige Mitglieder der Glaubensgemeinschaft gebe. «Die meisten unserer Mitglieder befinden sich im Raum Zürich, Basel, Lausanne und Tessin.» Die Reaktionen auf die Standaktionen in St.Gallen sind, laut Stettler, hauptsächlich neutral bis gut: «Die Leute nehmen die Gelegenheit wahr, sich zu informieren. Andere laufen einfach daran vorbei, ganz nach dem Motto leben und leben lassen.» Auch aus den kritischen Reaktionen zieht Stettler etwas Gutes: «Ab und zu resultieren diese in interessanten Gesprächen.»
«Auf dem absteigenden Ast»
Den Grund für die vermehrte Präsenz der Scientologen ist für den Religionsexperten Georg Schmid, Leiter der Informationsstelle Kirche-Sekten-Religionen in Rüti, klar: «Scientology beantragt in vielen Städten mehr Standaktionen als genehmigt werden. Im nächsten Jahr werden wieder mehr Anträge gestellt, als im Vorjahr genehmigt wurden. Dass Scientology intensiv werben soll, ist vom Gründer vorgegeben.» Ausserdem befinde sich die Glaubensgemeinschaft schon länger auf dem absteigenden Ast. «Die Spitze der Mitgliederentwicklung von Scientology in der Schweiz war um 1990 mit rund 3000 aktiven Mitgliedern. Heute sind es höchstens noch 700. Wenn Scientology wieder wachsen will, muss umso mehr geworben werden.»
Zahlen die Jürg Stettler nicht bestätigen kann: «Wir gehen von 5500 Scientologen in der Schweiz aus. Alleine in der Schweiz gibt es etwas 400 hauptamtliche Mitglieder. Die Mitglieder der internationalen Vereinigung der Scientologen in der Schweiz umfasst 2300 Personen, dazu kommen zusätzliche Mitglieder der 5 Kirchen und 4 Missionen.»
Mehr Seelen, mehr Geld
Doch nicht nur die Scientologen, sondern auch die Mormonen und die Zeugen Jehovas sind vermehrt in den St.Galler Strassen anzutreffen. Anders als bei diesen Glaubensgemeinschaften, wirbt Scientology nicht nur, um mehr Mitglieder von der Lehre Hubbards zu überzeugen, sondern auch um Finanzen zu akquirieren: «L. Ron Hubbard hat die Scientologen explizit dazu aufgefordert, möglichst viel Geld einzunehmen, damit Scientology die Ressourcen erhält, sich weiter auszubreiten. Scientology ist nicht nur an den Seelen der Menschen interessiert, sondern auch an deren Portemonnaie.» In der Vergangenheit wurden die Mitglieder sogar dazu motiviert, Kredite aufzunehmen um die teuren Auditing-Kurse zu finanzieren - eine finanzielle Belastung, die auch nach einem Ausstieg bei Scientology bestehen bleibt.
Für Jürg Stettler ist dies aber kein Phänomen, welches einzig bei Scientology anzufinden ist: «Ich gehe davon aus, dass jeder Leiter irgendeiner Organisation oder Bewegung eine solche oder ähnliche Aussage einmal gemacht hat. Ohne die Einnahme von Geldern kann eine Vereinigung weder existieren noch wachsen. Eine wörtliche Aussage Hubbards ist mir aber nicht bekannt.»
Hartes Vorgehen gegen Kritiker
Scientology ist berüchtigt dafür, Kritiker unsanft anzupacken. So finden sich im Internet Scientology-nahe Webseiten, welche Aussteiger massiv angreifen, wobei auch die privaten Verhältnisse der Ex-Scientologen breitgeschlagen werden. Auch von Einschüchterungsversuchen und Überwachungen wird berichtet. «Hubbard selbst beschreibt Scientology-Kritiker als ‹Unterdrückerische Personen› mit antisozialen Einstellungen, gegen die hart vorgegangen werden solle.»
«Lehre ist veraltet»
Eher abschreckend als anziehend wirken solche Geschichten über die Glaubensgemeinschaft. Dass diese sich immer mehr verbreiten, bekommt Scientology zu spüren. «Die grosse Zeit von Scientology ist vorbei, nicht zuletzt deshalb, weil L. Ron Hubbards Vorstellungswelt zusehends veraltet. Seine Lehre ist eng an das Menschenbild von 1950 gekoppelt. Dass so etwas plötzlich wieder trendy wird, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen», sagt Schmid.
Keine verbotene Organisation
Trotzdem führen die Scientologen in St.Gallen 2018 vermehrt Standaktionen durch. Diese müssen lediglich von der Stadtpolizei bewilligt werden. «Jeder hat einen Anspruch auf eine Bewilligung, wenn nichts dagegen spricht und es keine verbotenen Organisationen sind», sagt Dionys Widmer, Mediensprecher der Stadtpolizei St.Gallen. Welche zu diesen gehören, bestimmt aber nicht die Polizei, sondern wird vom Bund vorgegeben - Scientology gehört nicht dazu. «Einzig wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet wäre, könnten wir eine Bewilligung verweigern.»
Das altbekannte Bild vom roten Banner mit den gelben Lettern am Vadian wird also auch in diesem Jahr wieder vermehrt anzutreffen sein.