Adullam Wattwil

«Sektenführer» wegen Millionenbetrugs vor Gericht

22.02.2024, 09:47 Uhr
· Online seit 22.11.2021, 05:37 Uhr
Er hatte eine Kaderposition in einer Grossbank, war Militäroffizier und ist Mitglied des Ältestenrats der sektenartigen Gemeinschaft «Adullam» in Wattwil. Ein 45-jähriger Schweizer muss sich wegen eines Millionenbetrugs am Mittwoch und Donnerstag vor dem Kreisgericht St.Gallen verantworten.
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Das auffällige Gebäude «Adullam» in Wattwil ist Faszination und Mysterium zugleich. Die blassen Mauern wirken zwar eher langweilig vor den majestätischen sieben Churfirsten im Hintergrund. Dennoch ziehen sie Blicke auf sich – weil niemand wirklich weiss, was hinter der weissen Fassade vor sich geht.

Angelockt durch dieses Mysteriöse konnte FM1Today vor rund sieben Jahren mit dem damaligen Anführer der Gemeinschaft, Werner A., über seine Philosophie sprechen. Dieser bezeichnete das Adullam als ein Altersheim, einen Zufluchtsort für Menschen in Notsituationen und sich als den Diener dieser Gemeinde. Von Experten wird das Adullam als «sektenartige Gemeinschaft» beschrieben (vgl. Kasten). Vor sechs Jahren verstarb Werner A. und ein Ältestenrat übernahm. Dieser führt aktuell das «Altersheim» Adullam und einen Missionsdienst nach den ehemaligen Grundsätzen, wie Roger Bachmann, Sprecher des Ältestenrats, auf Anfrage sagt.

Mit Betrügereien teuren Lebensstil finanziert 

Nun steht ein 45-jähriger Schweizer, der – so bestätigte es Bachmann im Dezember 2021 – immer noch im Ältestenrat der Gemeinschaft ist, wegen Millionenbetrugs vor dem Kreisgericht St.Gallen. Die Liste der Vorwürfe ist lang: «Mehrfacher gewerbsmässiger Betrug, mehrfacher Betrug, mehrfache Veruntreuung, mehrfache ungetreue Geschäftsbesorgungen mit Bereicherungsabsicht, mehrfache Urkundenfälschung, Erschleichung einer falschen Beurkundung, mehrfacher Steuerbetrug.»

Gemäss Anklageschrift hat der Beschuldigte fast fünf Millionen Franken durch Betrügereien ergaunert und sich damit einen teuren Lebensstil mit Luxusautos, Schmuck, Reisen, Mietwohnungen und Militärjets finanziert. Acht Parteien wurden dadurch geschädigt – darunter eine Grossbank, Familienmitglieder und ein Mitglied der Gemeinschaft.

Mit fiktiven Anlagen Millionen von Franken abgeknöpft 

Angefangen haben die Betrügereien gemäss Staatsanwaltschaft im Frühling 2007. Während rund zehn Jahren soll der Angeklagte seinen Geschwistern über 2,3 Millionen Franken abgeknöpft haben. Das, indem er angab, das Geld in Anlagen zu investieren. Aufgrund seiner Position als Kaderbanker vertrauten ihm die Geschwister. Statt in Anlagen soll das Geld aber jeweils direkt auf das Konto des Beschuldigten geflossen sein. Die Geschwister haben für die Investitionen teilweise das gesamte Familienvermögen aufgebraucht.

Ausserdem habe der Angeklagte mit dem Geld seiner zwei Geschwister zwei historische Militärflugzeuge in Deutschland gekauft – die beiden wussten zwar von den Flugzeugen, glaubten aber wiederum an eine Investition, die sich auszahlen würde und vertrauten ihrem Bruder aufgrund seiner Position als Militäroffizier.

Es kommen weitere Vorwürfe zu Betrügereien seiner gegründeten Immobilienfirma hinzu, mit der er Steuern hinterzogen und Bilanzen gefälscht haben soll. Ihm wird auch vorgeworfen, eine Grossbank um einen Kredit betrogen zu haben, indem er falsche Vermögensverhältnisse angab. Und er soll über Monate Arbeitslosengeld bezogen haben, obwohl er längst wieder eine Anstellung hatte. Auch noch während gegen ihn ermittelt wurde, soll er zwischen 2018 und 2019 seine Betrügereien fortgesetzt haben.

Zusätzlich soll das leitende Adullam-Mitglied einem Mann aus der Gemeinschaft über 375'000 Franken abgeknöpft haben. Dies unter dem Vorwand, in die Gemeinschaft und ins Adullam zu investieren. Dieses Geld soll der Angeklagte aber unter anderem für einen Luxus-Flügel und ein vergoldetes Cello ausgegeben haben.

Acht Jahre Gefängnis gefordert 

Im Juni 2019 wurde der Beschuldigte verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Seit Dezember 2019 befindet sich der 45-Jährige im vorzeitigen Strafvollzug, wie die Verteidigung bestätigt. Die Staatsanwaltschaft fordert vor dem St.Galler Kreisgericht, den Beschuldigten zu acht Jahren Gefängnis zu verurteilen – unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Ausserdem soll er ein Berufsverbot bekommen und eine Busse von 1000 Franken zahlen. Das Geld auf seinen einzelnen Konten sei den Geschädigten zu überweisen – die Verfahrenskosten von über 30'000 Franken soll zudem der Angeklagte zahlen.

Verschiedene Vermögenswerte wie Liegenschaften, Flugzeuge und Instrumente seien bereits verkauft worden – die Geschädigten haben ihre Anteile teilweise zurückerhalten, heisst es in der Anklageschrift. Welche Forderungen die Verteidigung stellt, wurde auf frühere Anfrage nicht bekannt gegeben.

Bei Adullam geniesst der Angeklagte Rückendeckung

Trotz der vielen Vorwürfe und der Anklage geniesst der 45-Jährige weiterhin den Rückhalt der Glaubensgemeinde Adullam. Im Dezember sagte Sprecher Roger Bachmann, dass der Angeklagte aktuell immer noch aktiv im Ältestenrat dabei sei. Darüber, dass er im vorzeitigen Strafvollzug sitzt, verliert Bachmann kein Wort.

Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

(abl)

veröffentlicht: 22. November 2021 05:37
aktualisiert: 22. Februar 2024 09:47
Quelle: FM1Today

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