Interview

St.Galler Kriminologin: «Das perfekte Verbrechen wurde noch nicht entdeckt»

· Online seit 06.06.2021, 07:31 Uhr
Wieso wird man kriminell? Wie überfällt man am besten eine Bank? Und: Wie entwickelt sich die Kriminalität in den nächsten Jahren? Kriminologin Nora Markwalder hat die Antworten auf (fast) alle Fragen.

Quelle: FM1Today

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Nora Markwalder sitzt in ihrem Büro an der Bodanstrasse in St.Gallen. Nur wenige Meter von der Universität St.Gallen HSG entfernt. Dort arbeitet sie seit 2015 als Assistenzprofessorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Die 39-Jährige lebt in Zürich, ist aber in St.Gallen aufgewachsen.

In ihrer Arbeit als Kriminologin erforscht sie das Phänomen der Kriminalität: Das Verbrechen und die Kriminalität an sich. Markwalder beschäftigt sich aber auch mit den Fragen: Wer wird kriminell und wieso? Wie sind die Umstände der Tat und was gibt es für Täter- und Opfertypen?

Gibt es das perfekte Verbrechen?

Das wurde ich schon oft gefragt. Wenn es das perfekte Verbrechen gibt, dann hat man das wohl noch nicht entdeckt. Aber eine Bedienungsanleitung gibt es nicht.

Wie würden Sie eine Bank überfallen?

Ich würde sie nicht vor Ort überfallen. Wenn dann eher mittels Hacking – also digital.

Wieso werden nicht alle Delikte angezeigt?

Das hängt sehr vom Delikt ab. Je schwerer die Straftat, desto eher gibt es eine Anzeige. Aber auch Delikte, die versicherungstechnisch angegeben werden müssen, zum Beispiel ein Velodiebstahl, werden meist zur Anzeige gebracht. Sobald es um Körperverletzung oder ein Sexualdelikt geht, kommt es darauf an, wie nahe sich Täter und Opfer stehen. Ist den Opfern der Täter bekannt, überlegen sie eher, ob sie eine Anzeige machen sollen. Gerade bei Sexualdelikten ist die Anzeigerate relativ tief.

Lohnen sich Verbrechen?

Als Kriminologin sage ich: Nein. Aber wenn jemand schon unbedingt ein Verbrechen begehen will, sollte das Entdeckungsrisiko gering und der Gewinn hoch sein. Aber unter dem Strich rate ich davon ab.

Was ist bei Verbrechern gerade «in»?

Es gibt Betrugsformen, die stark digitalisiert wurden: Anlagebetrüger, die alles online abhandeln oder das sogenannte Romance Scam. Dort gaukelt jemand eine Beziehung vor und will Geld – früher war das der klassische Heiratsschwindler. Diese Delikte werden immer mehr. Sonst gibt es noch die Klassiker wie Diebstähle und Einbruchdiebstähle.

Wie kann ich mich vor Kriminellen im Internet schützen?

Am besten hinterfragst du das Ganze immer zweimal: Was ist das für ein Anbieter? Ist es seriös? Einfach immer kritisch bleiben, googeln und vergleichen. Wenn es einem nicht wohl ist, sollte man es besser sein lassen.

Wieso wird man kriminell?

Wenn ich das wüsste. Es ist schwierig das so pauschal zu sagen. Wir überlegen uns immer: Warum wurde die Tat begannen? Wer sind die Täter? Das ist je nach Delikt unterschiedlich.

Was macht Ihnen Sorge, wenn Sie an die Zukunft der Kriminalität denken?

Meine grösste Angst ist, dass wir neue Formen der Kriminalität nicht entdecken, die gravierende Folgen haben können.

Wie entwickelt sich die Kriminalität?

Statistiken zeigen, dass die Kriminalität eher zurückgegangen ist. Es gibt weniger Einbruchdiebstähle und allgemein Vermögensdelikte. Aber bei Statistiken muss man aufpassen. Diese nehmen nur Delikte auf, die zur Anzeige gebracht wurden. Die wahre Anzahl ist kaum ermittelbar. Das geht nur mit Opferbefragungen.

Ausserdem haben wir die Digitalisierung etwas verschlafen. Denn viele Formen der Kriminalität haben sich gewandelt. Die Forschungsarbeit ist deshalb extrem wichtig. Wir wissen im Bereich der Kriminologie noch viel zu wenig.

Ist die Polizei immer einen Schritt hinterher?

Bei der Polizei gibt es zwei Bereiche: Das wäre die Prävention und die Repression. Das Strafrecht ist per se repressiv und antwortet auf das was passiert ist. Die Polizei geht aber immer mehr in den präventiven Bereich, wie zum Beispiel beim Gewaltschutz.

Können Sie überhaupt noch Krimis im Fernsehen schauen?

Das schlimme ist, ich schaue ständig solche Sachen. Ich frage mich manchmal, ob es nicht besser wäre, einen Liebesroman zu lesen. Aber ich fahre so herunter. Wenn ich Krimis schaue, sage ich schon oft: Das ist jetzt aber unglaubwürdig.

veröffentlicht: 6. Juni 2021 07:31
aktualisiert: 6. Juni 2021 07:31
Quelle: FM1Today

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