Urteil im Millionenbetrugs-Fall: «Sektenmitglied» zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt
Quelle: tvo
«Für private Handlungen ist jeder selbst verantwortlich», sagt Roger Bachmann, Sprecher des Ältestenrates der Glaubensgemeinschaft «Adullam» in Wattwil, noch vor der Urteilsverkündung. «Wir hoffen, dass viele der Anklagepunkte sich als falsch herausstellen. Wir vertrauen den Richtern, dass die einen guten Job machen.»
Urteil: Sieben Jahre Gefängnis
Die St.Galler Kreisrichter haben am Donnerstag nun ein Urteil gefällt. Der Angeklagte wird zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt – unter Anrechnung der bereits geleisteten Haftjahre. Knapp vier Jahre muss der Verurteilte noch im Gefängnis sitzen. Ausserdem muss er diverse Forderungen zurückzahlen, die Verfahrenskosten von über 100'000 Franken übernehmen und Beiträge an den Staat von rund 1,5 Millionen Franken leisten. Das Gericht sprich ihn unter anderem wegen mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs, Veruntreuung, Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsbesorgung schuldig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Verteidiger des Angeklagten forderte vor Gericht in fast allen Punkten einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft hingegen wollte eine Gefängnisstrafe von acht Jahren, ein Berufsverbot in der Finanzbranche, Rückzahlungen sowie eine Busse von 1000 Franken. Dem 45-Jährigen wurde unter anderem vorgeworfen, Geld von Angehörigen, eines Adullam-Mitglieds und Bekannten für seinen luxuriösen Lebensstil statt in Anlagen zu investieren. Ausserdem habe er eine Grossbank und die Arbeitlosenversicherung betrogen, FM1Today berichtete.
«Er hat sich bei der Glaubensgemeinschaft Adullam nichts zuschulden kommen lassen», sagt Roger Bachmann. «Wir verurteilen die Person selbst nicht, sollte er sich aber etwas zuschulden kommen lassen haben, muss er dafür geradestehen.» Klar ist für Roger Bachmann, dass er im Ältestenrat vorerst nichts mehr zu sagen haben wird. «Bei einer Verurteilung gibt es eine Art Probe- oder Bewährungszeit, bis er wieder mitbestimmen kann und bis sein Zeugnis wieder aufgerichtet ist.»
«Gemeinschaft wird aus privater Kasse finanziert»
Dass es zu solchen Betrügereien kommen konnte, ist für den Sektenexperten Georg Otto Schmid gleichzeitig verwunderlich und nicht überraschend. «Verwunderlich, weil der mittlerweile verstorbene Sektengründer Werner Arn als Sprecher des Adullams, stets Anständigkeit und gutes Benehmen wichtig waren. Gegen aussen wollte er als Vorbild wirken – das Verhalten des Beschuldigten ist da die falsche Form.» Dass es im «intransparenten» Konstrukt Adullam zu finanziellen Ungereimtheiten kam, sei aber durchaus nachvollziehbar: «Die Gemeinschaft ist keine Stiftung, keine AG, kein Verein, sondern wird aus privater Kasse durch Spenden finanziert. Das ermöglicht Betrügereien.»
Für Georg Otto Schmid ist es eine Frage der Zeit, bis die Gemeinschaft vor massiven finanziellen Problemen steht. «Die Gemeinschaft ist extrem geschrumpft und hat vor allem von der charismatischen Persönlichkeit Werner Arns gelebt. In solche Fussstapfen zu treten, ist nicht so einfach.»
Roger Bachmann gibt zu, dass es nach Arns Tod Abgänge gab, es seien aber auch Personen dazu gekommen und finanzielle Probleme gäbe es keine: «Wir stehen nicht vor einem finanziellen Kollaps, wie vielfach behauptet wird.» Die Gemeinschaft funktioniere unabhängig des Angeklagten durch freiwillige Spenden. «Wir sind eigenständig und nicht finanziell von irgendwelchen Personen abhängig.» Dass die Spenden über ein Konto des Angeklagten laufen, bestreitet Bachmann.
«Wenn die mich in Ruhe lassen, habe ich nichts dagegen»
Passantinnen und Passanten in Wattwil und Ebnat-Kappel kennen das Adullam zwar, haben den Fall teilweise mitbekommen, für viele ist das Adullam und die Gemeinschaft aber eine Art Mysterium. «Man hat die schon gekannt», sagt beispielsweise Ruth Kühne aus Ebnat-Kappel. «Ich habe immer gefunden, die leben etwas Spezielles oder sind etwas Besseres, aber anscheinend ist das nicht so.» Der Prozess habe sie stutzig gemacht. «Wenn die mich aber in Ruhe lassen, habe ich nichts dagegen.»
Jeanette Roth aus Ebnat-Kappel ist aufgefallen, dass es rund um die Liegenschaft Traube, die der Gemeinschaft gehört, ruhiger geworden ist: «Früher waren viel mehr Leute da. Sie tun einem nichts zuleide, man erkennt sie halt einfach an den Kleidern.»
Roger Bachmann befürchtet, dass der Prozess das Image und die Reputation der Gemeinschaft nicht verbessern wird: «Wir sind aber eine offene Gemeinschaft. Wer will, darf jederzeit vorbeikommen.»