Viagogo erfindet Festspiel-Vorstellungen

11.07.2019, 09:02 Uhr
· Online seit 11.07.2019, 06:10 Uhr
Die Online-Verkaufsplattform Viagogo hat wieder zugeschlagen. Für die St.Galler Festspiele werden massiv überteuerte Tickets verkauft. Brisant dabei: Viagogo verkauft auch Billetts für Vorstellungen, die gar nicht existieren. Dem Veranstalter sind die Hände gebunden.
Praktikant FM1Today
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Montagabend in der Stadt St.Gallen, es ist kurz vor 20 Uhr. In wenigen Minuten beginnt die letzte Vorstellung «Desiderium» der St.Galler Festspiele in der Kathedrale. Am Eingang wird ein Billetteur von einer älteren Dame mit Brille angesprochen. Sie zeigt ihm ein Ticket, welches rund dreimal so teuer war als der Originalpreis. Gekauft wurde es online auf dem Verkaufsportal Viagogo. Es ist kein Einzelfall. Nebst massiv überteuerten Tickets werden auch Billetts für erfundene Vorstellungen verkauft.

Aufklären statt rechtliche Schritte

Dies bestätigt Susi Kaden, Leiterin Kommunikation beim Theater St.Gallen, auf Anfrage von FM1Today. «Es kommt nicht nur bei den St.Galler Festspielen vor, es betrifft Stücke und Konzerte, die besonders beliebt sind», sagt sie. Dazu zählen zum Beispiel das Neujahrskonzert, das letztjährige Familienstück «Räuber Hotzenplotz» oder auch Opern, Musicals und eben die St.Galler Festspiele. «Es ist aber auch nicht bei allen Vorstellungen», ergänzt Susi Kaden. Das Theater St.Gallen, welches auch der Organisator der Festspiele ist, kann rechtlich dagegen nichts machen. Das sei eine Grauzone, heisst es. Einzige Möglichkeit: «Wir können die Leute nur darüber aufklären.»

Preise zwischen zwei und drei Mal höher

Beim Theater St.Gallen erwartet man durch die Verkaufsplattform vorerst keinen Imageschaden. Wie oft es zu solchen Vorfällen kommt, ist nicht bekannt. «Wir haben keine Übersicht darüber», so Kaden. Gut möglich ist auch, dass sich nicht alle beim Theater melden. Vielfach wird nicht bemerkt, dass der Preis höher ist als beim Originalticket. Ein Augenschein auf der Viagogo-Seite zeigt: Die Billetts für die teuerste Kategorie der Oper «Il trovatore» werden für 275 Franken pro Ticket verkauft. Im Preis noch nicht mit einberechnet sind Versandkosten und die happigen Bearbeitungsgebühren. Zum Vergleich: Im Onlineshop des Theaters kostet das Ticket 170 Franken.

Vorstellungen erfunden

Auf Viagogo werden aber nicht nur überteuerte Tickets verkauft. Die Plattform bietet auch Billette für Vorstellungen an, die gar nicht existieren. So kann ein Ticket für die Tanzvorstellung «Desiderium» für 111 Franken gekauft werden. Datum: Mittwoch, 7. August 2019. Seit Montag, 8. Juli 2019, ist in der Kathedrale für dieses Jahr allerdings ausgetanzt. Weitere Vorstellungen gibt es nicht mehr – dies sagt auch das Theater St.Gallen auf Anfrage.

Nicht nur für eine fiktive Tanzvorstellung können Tickets gekauft werden, auch zwei Opernvorstellungen auf dem Klosterplatz am 7. Oktober 2019 und 7. Dezember 2019 werden angeboten. Kostenpunkt für den 7. Oktober: 238 Franken. Auch hier ist schon viel früher ausgesungen: Nämlich am Freitag, 12. Juli 2019. Dem Theater sind erneut die Hände gebunden. «Wir können natürlich versuchen, mit Viagogo Kontakt per Mail aufzunehmen, aber die Firma sucht keinerlei Kontakt nach aussen», sagt Kaden.

Verfahren laufen

Das Problem Viagogo ist schon lange bekannt. Aktuell muss sich auch das Gericht mit dem unseriösen Ticketverkäufer befassen. «Es laufen derzeit einige Klagen, hier wurden aber noch keine Verurteilungen ausgesprochen», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin des Schweizer Konsumentenschutzes. Die Billettverkäufer, -händler und Eventmanager üben aber laut Stalder zu wenig Druck aus. «Sie hätten Möglichkeiten, unter anderem auch Viagogo einzuklagen.» Ein grosses Problem sind auch die geschalteten Werbeanzeigen auf Google. Diese werden vielfach zu oberst angezeigt. Dies verleitet die Leute, zu denken, dass sie den offiziellen Verkaufsshop gefunden haben. Die Internetsuchmaschine versprach bereits Massnahmen – bisher ist aber nichts passiert.

«Sie haben 10 Minuten, um Ihre Bestellung abzuschliessen»

Viagogo setzt dem Ganzen aber noch einen obendrauf. Die Plattform verkauft nicht nur überteuerte Tickets und preist erfundene Vorstellungen an: Der Käufer wird auch unter Druck gesetzt. So startet automatisch ein Countdown. Nach einer Weile erscheint ein Popup. In diesem steht: «Danach könnten die Preise steigen oder die Tickets nicht mehr verfügbar sein.» «Unter Druck setzen, ist ein beliebtes Instrument. Man sieht es zum Beispiel auch bei Hotelbuchungsseiten, bei anderen Online-Shops ist es auch so und Viagogo praktiziert das Ganze in der Perfektion», sagt Stalder.

Das Viagogo-Problem ist schon seit einiger Zeit bekannt. Betroffen ist zum Beispiel auch der Circus Knie (FM1Today berichtete). Trotz vielen Vorfällen läuft das Portal weiter. Eine Anfrage von FM1Today bei Viagogo bleibt unbeantwortet.

Das Theater St.Gallen (und die St.Galler Festspiele) wie auch der Konsumentenschutz Schweiz empfehlen, die Tickets nur über die offiziellen Verkaufskanäle (via theatersg.ch, per Telefon oder über den offiziellen Verkaufspartner Starticket) zu kaufen.
veröffentlicht: 11. Juli 2019 06:10
aktualisiert: 11. Juli 2019 09:02
Quelle: ham

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