Ein leises Gackern erklingt irgendwo im dichten Nebel. Das dazugehörige Huhn schält sich langsam aus der trüben Suppe, die sich am Montag über den Hof von Bauer Emil Frischknecht im Osten der Stadt St.Gallen gelegt hat. Es ist ein braunes. «Die schwarzen hat der Hund alle getötet», sagt der Bauer.
Neun Hühner starben bei der Attacke des Hundes. Seit über 60 Jahren hält Frischknecht schon Hühner, die Nachbarn decken ihren Ei-Bedarf bei ihm. Seit dem Tod seiner Frau lebt er alleine auf dem Hof, zusammen mit den Hühnern, dem Hahn, einigen Kühen und Kälbern.
«Es kommt immer wieder vor, dass ein Huhn wegkommt. Mal holt der Fuchs eines, oder eben ein Hund von einem Spaziergänger. Aber so schlimm war es noch nie», sagt Frischknecht.
Geschenkkorb mit Appenzeller Spezialitäten
Am Freitag liess eine Hundehalterin ihre Hündin vorschriftsgemäss oberhalb des Hofs wieder von der Leine. Diese rannte sofort zurück zum Bauernhof und griff dort die Tiere an. Emil Frischknecht hielt zu diesem Zeitpunkt gerade seinen Mittagsschlaf, er sei schliesslich ein alter Mann.
«Leider hatte ich meinen Bläss drin, der hätte den Hund bestimmt verscheucht», sagt Frischknecht. Einen Groll gegen die Halterin habe er aber nicht. «Sie hat sich hochanständig verhalten, mir den Schaden gebeichtet und will dafür aufkommen. Normalerweise hauen die Hundehalter immer ab.»
Während des Gesprächs mit Emil Frischknecht biegt ein Auto auf die Hofeinfahrt ein. Es ist genau jene Hundehalterin. Eine junge Frau, sie entschuldigt sich beim Bauern und überreicht ihm einen Geschenkkorb mit Spezialitäten aus dem Appenzell. Was sie nicht weiss: Emil Frischknecht hat Geburtstag und wird 84 Jahre alt.
Hündin kommt aus Rumänien
Ihre Hündin sei zwei Jahre alt, sie habe sie aus dem Tierheim. «Sie lebte ein Jahr lang in Rumänien auf der Strasse, deswegen hat sie die Hühner wohl auch gezielt getötet», sagt sie zum Vorfall. Sonst habe es mit der Hündin noch nie Probleme gegeben.
Man merkt, wie leid es ihr tut. Demnächst wird das Veterinäramt bei ihr vorbeikommen, um die Hündin zu untersuchen, sie werde freiwillige Kurse mit ihr besuchen, um ihr den Jagdtrieb abzugewöhnen. An der Erfahrung im Umgang mangelt es der Halterin nicht: «Ich bin mit Hunden aufgewachsen.»
Zu dritt betreten wir den Hühnerstall. Bauer Frischknecht zeigt, wo sich die verstörten Hühner nach der Attacke überall versteckt hatten. Mittlerweile hätten sie sich wieder beruhigt.
Entgegen der vorherigen Berichterstattung wurden nicht nur sieben, sondern neun Tiere getötet, dafür hat der Hahn schwer verletzt überlebt. «Ich wollte den Hahn erlösen, aber sie (die Hundehalterin) hat darauf bestanden, dass ich ihn auf ihre Kosten zum Tierarzt bringe.»
Das hat sich gelohnt: Der Flügel hängt zwar noch herunter, aber der Hahn stolziert schon wieder zwischen den verbliebenen acht Hühnern herum. Bis er wieder ganz der alte ist, dürfte es aber noch eine Weile dauern: «Der Hahn kräht nicht mehr», sagt der Bauer.
Beim Abschied erfährt die junge Frau, dass Emil Frischknecht am Montag Geburtstag hat. Sie umarmen sich herzlich. Ein Geschenk hat sie ihm bereits gemacht. Es ist aber nicht der Geschenkkorb mit Appenzeller Spezialitäten, sondern ihre Aufrichtigkeit.
(thc)