Weihnachtsfest mit fremden Vertrauten

27.12.2016, 14:31 Uhr
· Online seit 23.12.2016, 19:35 Uhr
«An Weihnachten soll niemand alleine sein», findet IKEA. Deshalb stellt das Möbelhaus die Plattform «No Empty Chairs At Christmas» zur Verfügung, wo Gastgeber einen leeren Stuhl am Weihnachtstisch anbieten können. Ein alleinstehender Mann, der schon zwei Mal zu Gast war, und ein Paar, das seine Türen öffnen möchte, erzählen, weshalb sie mitmachen.
Laurien Gschwend
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Wolfgang Lochbihler aus Kollbrunn in der Nähe von Winterthur ist alleinstehend. Seine Familie lebt über die ganze Welt verteilt, ein Teil gar in Australien. «Vor zwei Jahren überlegte ich, wo ich Weihnachten verbringen könnte, um nicht alleine feiern zu müssen», so der heute 54-Jährige. Über eine Werbung wurde er auf «No Empty Chairs At Christmas» aufmerksam und meldete sich als Gast auf der Plattform an. «Ich wollte das unbedingt ausprobieren.»

«Jederzeit wieder mitmachen»

Ein junges Paar lud den Winterthurer zu sich nach Hause ein. «Gemeinsam mit weiteren Gästen hatten wir einen richtigen Plausch.» Ein Jahr darauf feierte er Weihnachten mit fünf weiteren Gästen bei einer Familie in Winterthur, auch das war «wahnsinnig schön». In diesem Jahr setzt er aus beim IKEA-Projekt. «Aber nur, weil ich zu meinem Bruder nach Köln fahre», erzählt der Netzwerktechniker. «Ich würde jederzeit wieder mitmachen.»

Wer «No Empty Chairs At Christmas» nutze, müsse eine gewisse persönliche Einstellung haben. «Man muss bereit sein, einen Abend mit neuen Leuten zu verbringen, in eine fremde Wohnung zu ‹trampeln›.» Aber auch als Gastgeber brauche es eine Portion Mut. «Vielleicht lade ich im nächsten Jahr eine Gruppe zu mir nach Hause ein», sagt Lochbihler.

Bleibende Kontakte knüpfen

An der Aktion gefällt ihm besonders, dass sie «erfrischend offen» ist. In einer schnelllebigen Zeit, in der einem alles auf den Geist gehe, sei es «absolut heiss», neue Menschen zu treffen. Mit dem Pärchen vom vorletzten Weihnachtsfest steht Wolfgang Lochbihler noch heute in Kontakt. «Im nächsten Frühling kommen sie bei mir zu Besuch, wir schmeissen den Grill an, dann wird geschlemmt und geschwatzt», freut er sich.

Tiramisù und ein Blumenstrauss als Mitbringsel

Geschenke seien bei der Aktion zweitrangig. «Ich frage aber jeweils nach, ob ich etwas mitbringen kann. Zum Beispiel ein leckeres Tiramisù, das beim letzten Mal wunderbar angekommen ist.» Bei der Köchin hat er sich beide Male mit einem Weihnachtsstern oder Blumenstrauss bedankt.

Ist man mit Fremden zusammen, stellt sich die Frage, worüber man sich eigentlich unterhält. «Erfahrungsgemäss entwickelte sich das Gespräch ganz von alleine», weiss Lochbihler. Zu Beginn könne man seine Tischnachbarn als «Eisbrecher» nach anstehenden Ferien fragen. Zu Gesprächspausen sei es bei den letzten zwei Malen eigentlich nie gekommen.

Plattform ist keine Singlebörse

Auf «www.noemptychairs.ch» können sich sowohl Gäste als auch Gastgeber anmelden. Gäste geben an, welches Essen sie mögen und ob sie eher an einem Party- oder Familientisch Platz nehmen würden. «Der erste Schritt ist relativ unpersönlich, man kann auf der Plattform nicht wirklich ein ausgiebiges Singleprofil erstellen», witzelt Lochbihler.

Gastgeber beschreiben die groben Programmpunkte, wer sonst noch am Tisch sitzt und welches Essen es gibt. Danach kontaktieren sich die Teilnehmer gegenseitig, lernen sich kennen und verabreden sich zum grossen Fest.

Offizieller Werbespot von IKEA Schweiz 

Noch niemand angemeldet

Die 30-jährige Klarissa Konderla lebt in St.Gallen und feiert den Heiligabend traditionell polnisch. Neben ihrem Partner und der Mutter sollen drei weitere Personen am Festtisch Platz nehmen. Bislang hat sich aber noch niemand angemeldet, ebenso in den vergangenen beiden Jahren.

Typisches polnisches Menü

«Wir werden meinen polnischen Wurzeln entsprechend zwölf verschiedene Speisen auftischen und Fisch statt Fleisch essen», erzählt sie. Auf dem Speiseplan stehen ein Kompott aus getrocknetem Obst und Linsen, panierte Karpfen und Zander mit einem Gemüse-Mayonnaise-Salat sowie ganz viele Guetzli und Mohnkuchen. «Eine Freundin meiner Mutter hat uns zudem polnische Oblaten geschickt.»

Das Essen dauert anderthalb Stunden. «Danach sitzen wir zusammen, trinken etwas, öffnen die Geschenke», erzählt Konderla, «und in diesem Jahr möchten wir die Mitternachtsmesse im St.Galler Dom besuchen, bei der wir noch nie waren».

Klarissa Konderla arbeitet im Expansion-Bereich von IKEA Schweiz. Aber nicht nur, weil es sich um eine Aktion des eigenen Unternehmens handelt, macht sie bei «No Empty Chairs At Christmas» mit. «Ich finde es schön, Gäste hier zu haben - gerade an Weihnachten, wo viele alleine sind.»

«Jemandem etwas geben, der wenig hat»

In Polen sei es Gang und Gäbe, beim Festmahl einen Stuhl frei zu lassen für Bedürftige. «Es fühlt sich gut an, jemandem etwas zu geben, der normalerweise nicht so viel hat», sagt sie. Die polnische Familie sei gross und nehme allfällige Gäste sofort auf. «Da wird viel gelacht, viel gegessen, und es spielt keine Rolle, ob eine Person mehr oder weniger da ist, niemand ist fremd.»

Es gebe nur ein kleines Geschenk. «Wir haben einen Maximalbetrag abgemacht, damit es nicht ausartet. Denn es geht schliesslich darum, gemütlich zusammen zu sein.» Weihnachten ist für Klarissa Konderla ein Fest, an dem die Familie zusammenkommt. «Und wir bieten Leuten, die keine Angehörigen (mehr) haben, an, mit uns zu feiern», sagt die 30-Jährige.

Die Katze darf nicht mit

Klarissa Konderla und ihr niederländischer Partner Berry van Donkelaar haben keine besonderen Anforderungen an einen Gast. «Man darf nur keine Katzen mitbringen, denn Berry hat eine Katzenhaarallergie.» Hunde und sonstige Tiere seien aber durchaus willkommen.

Einige Stühle sind noch frei

«No Empty Chairs At Christmas» findet bereits zum dritten Mal statt. «Mehrere hundert Leute melden sich jeweils an, wir freuen uns sehr, dass es so gut läuft», so Katrin Hasler, Kommunikationsverantwortliche der IKEA-Aktion. Es gebe jeweils mehr Gastgeber als Gäste. «Noch sind einige Stühle frei, die besetzt werden können.»

«Nehmt die Chance wahr»

Bewohner von urbanen Gebieten seien grundsätzlich offener, sich an einen fremden Weihnachtstisch zu setzen. «Wir Schweizer sind grundsätzlich eher zurückhaltend und haben Hemmungen», so Hasler. Wolfgang Lochbihler findet, niemand solle sich schämen, irgendwo anzuklopfen. «Macht es! Wenn ihr alleine zu Hause sitzt, tut ihr euch damit keinen Gefallen», sagt er voller Überzeugung, «nehmt euer Herz in die Hand und die Chance wahr».

veröffentlicht: 23. Dezember 2016 19:35
aktualisiert: 27. Dezember 2016 14:31

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