FM1-Land

Widerstand der Kantone gegen Fernunterricht ist gross – aber er bröckelt

19.01.2021, 12:01 Uhr
· Online seit 19.01.2021, 11:43 Uhr
«Die Jungen sollen die Zeche nicht zahlen müssen» – das sagt die Thurgauer Bildungsdirektorin Monika Knill und setzt sich wie die meisten Kantone gegen den Fernunterricht ein. Wären da nur nicht die neuen, hochansteckenden Virus-Mutationen.
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Der Fernunterricht auf Primarstufe ist (noch) kein Thema. Doch Oberstufenschüler, Berufs- und Kantischülerinnen und auch deren Lehrerschaft hinterfragen in der aktuellen Lage den Präsenzunterricht. Das geht zum Teil so weit, dass derzeit beispielsweise ein Teil der Schülerschaft am Berufs- und Weiterbildungszentrum St.Gallen (GBS) den Präsenzunterricht verweigert (FM1Today berichtete).

Doch bei den Kantonen stellt man sich in den Bildungsdepartementen weiterhin auf den Standpunkt, flächendeckenden Fernunterricht auf jeden Fall zu vermeiden. Die Erfahrungen des Schul-Lockdowns im Frühling waren schlicht sehr schlecht. Zahlreiche lernschwache Kinder oder solche aus bildungsfernen Familien haben den Anschluss verpasst. Die Lehrabschlüsse des letzten Jahres werden als «Corona-Abschlüsse» bezeichnet und viele befürchten, diese würden weniger gelten. Die Kantone wollen dies auf jeden Fall für die Zukunft verhindern.

«Schutzkonzepte der Schulen greifen»

«Die Jungen dürfen diese Zeche nicht mit weiteren Einschränkungen in ihrer Bildungslaufbahn bezahlen. Vor allem schwächere Schülerinnen und Schüler sind besonders betroffen. Wenn wir gleichzeitig dafür sorgen, dass die Berufs- und Bildungsabschlüsse anerkannt und Übertritte gewährleistet sind, erträgt es keinen flächendeckenden Fernunterricht mehr», teilt die Thurgauer Regierungsrätin Monika Knill (SVP) auf Anfrage von FM1Today mit.

Auch der Kanton St.Gallen möchte, wenn immer möglich, nicht vom Präsenzunterricht abweichen: «Wir bevorzugen aus Qualitätsgründen grundsätzlich auch auf der Sekundarstufe II Präsenzunterricht», teilt Regierungsrat Stefan Kölliker (SVP) mit.

Für Knill ist klar: «Die Schulen sind sichere Orte und haben seit Monaten sehr viel investiert, damit die Schutzkonzepte greifen.» Dabei verweist sie auf die generell rückläufigen Zahlen in der Gesamtschweiz. Immerhin: Der Kanton Thurgau ist einer der wenigen Kantone, die tatsächlich einen Überblick über die Fallzahlen an den Schulen haben. Diese müssen dem Kanton ihre Fälle regelmässig melden. Angaben zu den Ansteckungszahlen kann oder will man im Thurgau nicht machen. Nur so viel: «Die Schutzkonzepte funktionieren.»

Keine Angaben zu Ansteckungszahlen erhältlich

St.Gallen befindet sich diesbezüglich offenbar im Blindflug: «Im Kanton St.Gallen haben die Schulen keinen Auftrag, die Daten ständig nachzuführen. Das Bildungsdepartement führt jedoch sporadisch Umfragen durch.» Angaben zu den Ansteckungszahlen an den Schulen sind auch hier nicht erhältlich.

Trotzdem ist der Widerstand der Kantone gegen Fernunterricht gross, auch in der restlichen Schweiz. Doch die Virus-Varianten bringen diesen wohl über kurz oder lang zum Bröckeln. Jene aus Grossbritannien ist nach neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft 40 bis 70 Prozent ansteckender und die Quarantäne-Massnahmen müssen künftig wohl erweitert werden.

Schulen haben sich weiterentwickelt

Während aber die Kantone noch mit den Erfahrungen vom letzten Frühling argumentieren, sind die meisten Schulen, insbesondere Kantons- und Berufsschulen, bereits weiter.

Viele von ihnen haben im Fernunterricht klare Fortschritte gemacht und beherrschen den Hybrid-Unterricht, das heisst, sie lassen einen Teil der Schülerschaft, der sich zum Beispiel in der Corona-Quarantäne befindet, problemlos per Videostream am Unterricht teilnehmen. Und gerade im Kanton St.Gallen wurde seit Weihnachten für zwei Wochen auf Fernunterricht umgestellt, um mögliche Corona-Ansteckungen von Weihnachtsfeiern nicht in die Schule zu tragen.

Die Tage der Schülerinnen und Schüler waren strukturiert, viele technische Probleme wurden ausgemerzt und der Kontakt zwischen der Lehrerschaft und den Lernenden war gut eingespielt, wie verschiedene Eltern und Schüler gegenüber FM1Today berichten.

Fernunterricht, einfach nicht flächendeckend

Die Lösung des Dilemmas in den Bildungsdepartementen dürfte denn auch in einem gut schweizerischen Mittelweg zu finden sein. Hybrid-Unterricht, Teilklassen-Unterricht, Prüfungen in den Turnhallen und vieles mehr ist denkbar.

Dies dürfte auch den kantonalen Bildungsdepartementen langsam klar werden, wie aus einer Stellungnahme von Stefan Kölliker zu entnehmen ist: «Zurzeit hält das St.Galler Bildungsdepartement – wie die Bildungsdirektionen der anderen Kantone – am Entscheid für Präsenzunterricht fest. Wenn für die Sekundarstufe II aber seitens des Bundesrates Fernunterricht verordnet wird, so können wir diesen kurzfristig umsetzen und tragen ihn mit.»

Mit anderen Worten: Der Ball liegt wieder beim Bundesrat, dieser wird am Mittwoch entscheiden.

veröffentlicht: 19. Januar 2021 11:43
aktualisiert: 19. Januar 2021 12:01
Quelle: FM1Today

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