Der Hochwasserschutz an der Thur bei Wattwil ist rund 100 Jahre alt und muss erneuert werden. Darüber sind sich alle politischen Parteien einig, der Plan der Regierung dafür steht. Prima, dann steht der Sanierung der Thur ja nichts im Weg, könnte man meinen.
Doch weit gefehlt – insbesondere der Widerstand vor Ort ist massiv. Die bürgerlichen Fraktionen der SVP, FDP und der Mitte kritisierten bereits in der Septembersession die Ausmasse des vorgeschlagenen Projekts. Aus ihrer Sicht hat die Regierung das Augenmass verloren und will den Fluss zu stark verbreitern.
Auf Kosten vieler Grundeigentümer, auf Kosten von Kulturland und nicht zuletzt auf Kosten vieler Alleebäume.
«Fühlen uns von der Regierung nicht ernst genommen»
Christian Vogel ist SVP-Kantonsrat aus dem Toggenburg. Er engagiert sich gegen die Sanierung der Thur in der vorgeschlagenen Form. «Die IG Thursanierung und auch Kantonsräte mehrerer Parteien weisen seit Jahren darauf hin, dass dieser Vorschlag einfach zu viel des Guten ist.»
Trotzdem ändere die Regierung nichts an ihrem Vorhaben, entscheidet aus Vogels Sicht gar an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. «Das Projekt kommt aus St.Gallen, wir vor Ort versuchen aufzuzeigen was nicht gut ist und es passiert nichts. Wir fühlen uns nicht ernst genommen.»
Vor allem die Pläne ausserhalb des Dorfs sorgen bei Vogel für Unverständnis. Innerhalb von Wattwil wolle man etwa die Böschung des Flusses ausbaggern und so für eine Verbreiterung sorgen. «Das ist vernünftig. Ausserhalb kennt man aber keinen Gott und kein Gebot: Da soll die Thur durch Beanspruchung von sechs Hektaren bestem Landwirtschaftsland massiv verbreitert werden. Dabei wäre eine Verbreiterung innerhalb der Alleebäume ausreichend.»
Dabei gehe es dort gar nicht um den Hochwasserschutz, sondern allein um die Renaturierung – die unter anderem Voraussetzung für Bundesgelder ist.
Die Regierung bleibt bei Plan A
Am 18. September kam es aufgrund dieses Themas zu einer ausserordentlichen Debatte, bei der sich auch die St.Galler Regierungspräsidentin Susanne Hartmann (Mitte) äusserte. Sie verteidigte die vorgestellte Variante und stellte den Hochwasserschutz ins Zentrum: Als Besitzer des Kantonsgewässers sei St.Gallen seit 2010 für die Sicherheit der Wattwilerinnen und Wattwiler verantwortlich, der Sanierungsbedarf dringend.
Ein Kulturlandgutachten habe gezeigt, dass das Sanierungsprojekt ausgewogen sei und nicht zu viel Kulturland in Anspruch nehme. Auf eine überparteiliche Interpellation hin hat der Kanton auch eine alternative Variante prüfen lassen, diese jedoch selbst als klar schlechtere und nicht bewilligungsfähige Version klassifiziert. Unter anderem müsste dabei der Damm angehoben und hohe Mauer gezogen werden.
Eine Alternative, die keine ist. Auch das gibt zu reden.
«Nicht nachvollziehbar»
Auch die FDP-Fraktion stellt den Sanierungsplan infrage. Sie stünden zwar hinter dem Projekt Hochwasserschutz, doch die Alternativenprüfung sei dürftig ausgefallen, sagt der Mosnanger FDP-Kantonsrat Ruben Schuler: «Das ist nicht nachvollziehbar, da die Regierung in der Vergangenheit zahlreiche Varianten ausgearbeitet hat. Die hat man nun gar nicht mehr zur Schublade herausgenommen.»
Dazu sei der Fokus falsch gesetzt. Im alternativen Vorschlag habe der Erhalt möglichst vieler Alleebäume viel Raum eingenommen. Es sei ihnen zwar auch um den Erhalt der Bäume gegangen, jedoch nicht hauptsächlich.
Im Vordergrund stünden die minimale Beanspruchung von Grundeigentum und die Kosten. «Das Verhältnis der Kosten zum Nutzen beurteilt auch das Bundesamt für Umwelt als unzureichend und bis heute haben wir nichts anderes gehört», sagt Schuler.
«Bewilligungsfähige Minimalvariante»
Auch beim Kulturlandgutachten im Auftrag der Regierung mahnt er zur Vorsicht. Darin wird das Sanierungsprojekt in Anbetracht der Landwirtschaft, Ökologie und Ökonomie als verhältnismässig beurteilt. «Das heisst nur, dass es nicht widerrechtlich ist. Das beutetet nicht, dass andere Varianten nicht besser wären. Aus unserer Sicht müsste es eine bewilligungsfähige Minimalvariante geben», sagt FDP-Kantonsrat Ruben Schuler.
Ein Begriff, der auch im Gespräch mit SVP-Kantonsrat Christian Vogel fällt. Hochwasserschutz ja, aber nur so wenig wie nötig, insbesondere, was die Renaturierung angeht. Es könnte der Eindruck entstehen, dass sich das gesamte Toggenburg und der Kantonsrat geschlossen gegen die «St.Galler» Thursanierung stellt.
Denn auch die Mitte hatte sich an der Interpellation und der Debatte im Kantonsrat beteiligt und stellt insbesondere die hohen Kosten infrage – diese werden derzeit auf 112 Millionen Franken geschätzt. Es gibt aber auch relativierende Stimmen, sowohl aus dem Rat als auch der Region.
«Spezialisten am Werk»
So meldete sich bei der Debatte neben dem Grünen Daniel Bosshard auch Robert Raths, ebenfalls FDP, zu Wort. Als langjähriger Gemeindepräsident sei er in die Sanierung mehrerer Bäche involviert gewesen: «Der Kanton hat in dieser Sache immer sehr gute Arbeit geleistet. Dahinten sitzt ein Profi», sagt der Stadtpräsident von Rorschach.
Das sagt auch SP-Politiker Ruedi Bösch, ehemaliger Wattwiler Gemeinderat: «Dieser Vorschlag wurde von Spezialisten berechnet und diesen vertraue ich auch. Für mich ist auch die Renaturierung der Thur ein wichtiges Projekt, das zusammen mit den Hochwasserschutzmassnahmen umgesetzt werden kann».
Trotzdem bringt er den betroffenen Grundeigentümern, insbesondere den Bauern, grosses Verständnis entgegen. Die Argumentation «Sie müssen ja nicht viel Land abgeben», halte er für zu einseitig betrachtet. Hie müsse man den Kanton in die Pflicht nehmen und sagen: «Die Thur braucht nun mal Platz, doch wir schaffen Anreize, damit eine Opposition nicht nötig ist».
Parlamentarischer Widerstand gegen das aktuelle Thursanierungsprojekt scheint jedoch sicher. Der Kantonsrat dürfte sich noch mehrfach mit dem Hochwasserschutz im Toggenburg befassen.
Hier kannst du die ganze Debatte nachschauen: