Kanton St.Gallen

«Wir befürchten Einbussen»: Gastropräsident hält nichts von Zertifikatspflicht

21.08.2021, 06:50 Uhr
· Online seit 20.08.2021, 20:24 Uhr
Besucher von Bars, Restaurants, Heimen und Veranstaltungen sollen geimpft, genesen oder getestet sein. Die St.Galler Regierung entscheidet kommende Woche, ob die 3G-Regel ausgeweitet werden soll. Gastronomen und die SVP kritisieren das Vorgehen.
Janina Gehrig/St.Galler Tagblatt
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Vor einer Woche lagen noch drei, am Donnerstag schon zwölf Personen wegen einer Covid-19-Infektion auf der Intensivstation eines St.Galler Spitals. Elf davon werden beatmet. 42 weitere Personen befinden sich in Spitalpflege auf der Allgemeinen Abteilung.

Der sprunghafte Anstieg der Patienten, die intensivmedizinische Behandlung benötigen, hat den Kantonalen Führungsstab alarmiert. Er prüft deshalb, den Einsatz des Covid-19-Zertifikats auszuweiten, schreibt das «St.Galler Tagblatt».

Kommt die Maskenpflicht an Schulen zurück?

«Wir prüfen die 3G-Regel für Restaurants, Veranstaltungen, Museen, Heimbesuche und Spitäler», sagt Gesundheitsdirektor Bruno Damann. Damit sollen nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete Zugang zu gewissen Orten erhalten. Auch gebe es die Möglichkeit, an den Schulen die Maskenpflicht wieder einzuführen. Ziel ist es, die Überlastung der Spitalkapazitäten und einen weiteren Lockdown unter allen Umständen zu vermeiden.

Aktuell infizieren sich wieder mehr Personen mit Covid-19. Seit Anfang August steigt die Kurve der Covid-Patienten auf Intensivstationen wieder an. Mittlerweile ist zwar die Hälfte der Schweizer Bevölkerung geimpft, doch die dominante Deltavariante ist viel ansteckender als die ursprüngliche Virusvariante. So sind die Spitäler im Kanton St.Gallen bereits wieder stark ausgelastet, was für die Regierung seit Beginn der Pandemie das relevante Kriterium darstellt, um allfällige Schritte einzuleiten.

Vergleichbar mit einer Billetkontrolle

«Wir müssen die Situation weiter beobachten, die Verordnung verfeinern und ausbauen, damit wir bereit sind, die Massnahme kurzfristig einzusetzen», sagt Damann. Noch ständen viele Fragen im Raum, etwa, welche Veranstaltungen einer strengeren Einlasskontrolle bedürfen und wie die Kontrollen ablaufen sollen. Eine App, mit der das Zertifikat kontrolliert werden kann, steht bereits zur Verfügung und ist vergleichbar mit einer Billettkontrolle im öffentlichen Verkehr.

Mit dieser Idee nicht leben möchte der St.Galler Gastropräsident Walter Tobler. Einerseits, weil die Wirte niemanden ausschliessen wollen. Andererseits, weil man den Aufwand der Kontrollen und rechtliche Folgen fürchtet. Gemäss dem Branchenverband Gastrosuisse verpflegen sich täglich zweieinhalb Millionen Menschen in Bars, Cafés und Restaurants. Tobler sagt: «Nur die Hälfte von diesen Leuten sind geimpft. Wir befürchten Einbussen und ein ‹Cabaret›.» Er sieht die 3G-Regel als allerletzte Massnahme, damit die Gaststätten nicht wieder schliessen müssten.

Tobler beschäftigt vor allem die Frage der Haftung. «Die Kontrolle kann nicht beim Beizer liegen. Wenn ich auf einer Gemeindestrasse zu schnell fahre, muss auch nicht der Bürgermeister meine Busse bezahlen», sagt er. Ausschlaggebend sei auch, was die Nachbarkantone Appenzell und Thurgau beschliessen würden. Es kann nicht sein, dass St.Gallen vorprescht und dann alle in Appenzell oder im Thurgau einkehren. Weitere Fragen ständen im Raum: Wer macht die Tests? Was, wenn diese nicht mehr gratis sind? Und was, wenn sich die Mitarbeiter nicht impfen lassen wollen? Nicht zuletzt solidarisiert sich Tobler mit den Geimpften, die alles dafür getan hätten, um das öffentliche Leben wieder zu normalisieren. «Die Leute haben es in der Hand. Wenn sich mehr Leute impfen lassen, müssen wir weniger Personengruppen ausschliessen.»

SVP will nun endlich die Rückkehr zur Normalität

Auch die SVP des Kantons St.Gallen übt Kritik, auch wenn diese in eine andere Richtung geht. Es sei unverständlich, warum der Kanton St.Gallen vor allen anderen Kantonen derart vorpresche und Massnahmen auf Vorrat einführen wolle, schreibt die Partei in einer Mitteilung.

«Mit der 3G-Regel in der Gastronomie wird die breite Gesellschaft von einem Besuch im Restaurant, und dadurch auch vom gesellschaftlichen und sozialen Leben, erneut ausgeschlossen», heisst es. Aufgrund der «genügend vorhandenen Impfstoffe» fordert die SVP, dass nun endlich die Rückkehr zur Normalität vollzogen werde, anstatt über neue Restriktionen zu diskutieren. Kritisiert wird auch, dass die Regeln von der Regierung bereits nächste Woche eingeführt werden könnten. «Ein derart überstürztes Handeln würde den Gastronomen jegliche Planungssicherheit entziehen», schreibt die Partei.

Bruno Damann hält dagegen, die Massnahme, für gewisse Lokalitäten und Anlässe ein Zertifikat zu verlangen, sei «nicht wahnsinnig einschneidend. Auch schliessen wir damit niemanden aus», sagt der Regierungspräsident. «Wer sich nicht impfen lassen will, soll sich testen lassen.»

Kommenden Dienstag diskutiert die Regierung, welche Massnahmen auch in Absprache mit anderen Ostschweizer Kantonen zu treffen seien. Denn die Ostschweiz sei als Grenzregion ähnlich wie die Kantone Genf und beider Basel stärker vom Anstieg betroffen. Je nach Entwicklung der Zahlen kommen die neuen Regeln frühestens Ende nächster Woche zum Tragen.

Beschränkungen für Spitalbesucher

Schneller handeln einzelne Spitäler. Bereits am Mittwoch kündigte das Kantonsspital St.Gallen an, ab kommender Woche wieder ein Besuchsverbot einzuführen. Besuche werden - wie in früheren Phasen der Pandemie - nur in besonderen Situationen auf Voranmeldung erlaubt. Neu müssen Besucher zudem ein gültiges Covidzertifikat vorweisen.

Bereits am Samstag passt auch das Kantonsspital Graubünden seine Regeln an: Patientinnen und Patienten dürfen nur noch einen Besucher pro Tag während maximal einer Stunde empfangen.

veröffentlicht: 20. August 2021 20:24
aktualisiert: 21. August 2021 06:50
Quelle: St.Galler Tagblatt

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