Influencerin

Diese Ostschweizerin hat auf Instagram fast eine halbe Million Follower

01.02.2020, 18:13 Uhr
· Online seit 01.02.2020, 18:10 Uhr
Ihr Beruf wird immer noch belächelt: Influencerin Michèle Krüsi aus Braunau arbeitet viel und sieht in Instagram mehr als nur eine Werbeplattform.
Janine Bollhalder
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«Eigentlich stehe ich lieber hinter der Kamera», sagt Michèle Krüsi. Eine paradoxe Aussage für die junge Frau aus dem beschaulichen Braunau. Sie trinkt in New York Cocktails, besucht in Paris Kunstgalerien und posiert auf der Tower Bridge – und sie teilt diese Augenblicke mit ihren 473'000 Followern auf der Internetplattform Instagram unter dem Benutzernamen «thefashionfraction».

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Guess my age in the comments. 👼🏼

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Die 28-Jährige lädt jeden Tag ein Bild auf die soziale Plattform, das verlange der Algorithmus. Krüsi ist gelernte Polygrafin. Sie wollte sich weiterbilden, besuchte ein Studium in visueller Gestaltung. «Ich habe Montag bis Donnerstag gearbeitet, Freitag und Samstag an der Hochschule studiert und sonntags meine Eltern besucht und gebloggt. Freizeit hatte ich damals keine», sagt Krüsi dem Tagblatt.

Heimliche Leidenschaft wird zum Erfolg

Michèle Krüsi hat vor zehn Jahren heimlich mit dem Bloggen angefangen: «Wenn meine Eltern weg waren, habe ich Kamera und Stativ gepackt und mich vor die Hauswand gestellt.» Sie habe ihre Freude an der Mode teilen wollen. In ihrem näheren Umfeld interessierte sich niemand für das Thema. Im Internet hingegen hat sie viele Gleichgesinnte gefunden: «Mein Insta­gramprofil gehört inzwischen zu den grössten der Schweiz.»

Als das Bloggen mehr Zeit verlangte, hängte Krüsi Job und Studium an den Nagel. «Es ist mir schwergefallen, zu kündigen», sagt sie, die nie den Traum hegte, Influencerin zu werden und von der selbständigen Tätigkeit zu leben.

Die Bilder von Michèle Krüsi sind bunt und lebendig. Man sieht die 28-Jährige mal mit dem Mund voller Spaghetti, im Bademantel und mit Zeitung auf dem Balkon oder – in einer immer wieder auftauchenden Pose – mit hochgestrecktem Bein, ähnlich einer Ballerina. Krüsi ist sichtbar beweglich und sie scheut sich auch nicht, in Bikini oder Unterwäsche zu posieren. «Das ist doch etwas Natürliches», sagt sie. «Ich will damit den Körper entsexualisieren.»

Krüsi ist auch in ihrem Alltag natürlich unterwegs, zum Interview kommt sie nicht in Designerkleidung gehüllt, sondern ohne Make up, in einem Rollkragenpulli, Jeans und weissen Sneakern. «Die sind immer trendy», sagt sie, merkt dann aber an, dass sie eigentlich keine Ahnung hat, was gerade «in» ist. «Ich trage einfach, was ich will.»

Und das kommt an: Krüsi kann gut von ihren Instagrambeiträgen leben. «Ich verdiene nicht jeden Monat gleich viel, aber ich würde doch sagen, mehr als den durchschnittlichen Schweizer Lohn.» Trotzdem werde ihr Job oft belächelt. «Man ahnt nicht, wie viel Arbeit hinter einem Beitrag steckt.»

12-Stunden-Tag

«Mein Tag startet und endet um sieben Uhr.» Einen Tag lang entwerfe sie Konzepte für die Instagrambilder, an einem anderen Tag beantworte sie Mails und den nächsten Tag widme sie dem Fotografieren. An diesem Punkt habe die Selbständigkeit aber auch ihre Vorteile: «Ich mache die Bilder oft mit Influencerkollegen – so verbringe ich Zeit mit Freunden und arbeite.»

Den veröffentlichten Bildern fügt Krüsi stets eine Bildunterschrift hinzu – in Englisch. «Meine Follower kommen hauptsächlich aus der Schweiz, Deutschland und Amerika», sagt Krüsi.

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I guess I gotta stock up my fridge with healthy stuff

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Instagram ist für sie aber keine Werbeplattform – auch wenn die publizierten Werbebeiträge ihr Leben finanzieren.

«Ich will meinen Freunden Tipps geben, kein Produkt aufschwatzen.»

Der Konsum sei es auch, der sie an Instagram störe. «Ich gebe auf den Bildern nicht an, von wo meine jeweilige Kleidung ist. Die Outfits sollen lediglich der Inspiration dienen. Ähnliche Stücke finden sich oft bereits im Kleiderschrank.» Und doch ist es die Kauflust der Follower, die Michèle Krüsis Leben schliesslich finanziert.

Eine lange Partnerschaft pflege sie mit Dyson. Man sieht Krüsi vor dem Spiegel die Haare föhnen, in einem langen lila-orangen Kleid – Vorbereitungen für das Zürich Film Festival. Weiter nach unten gescrollt sieht man Krüsi vor dem Spiegel, in Ballerinaposition – flexibel, wie es der Föhn sei. Dieser liegt am Rande des Bildes, nicht im Fokus. Das ist Krüsi wichtig – es soll nicht werberisch wirken.

Michèle Krüsi zeigt sich auf ihren Bildern mal sexy als Piratenfrau mit Champagner, mal hangelt sie sich wie ein Äffchen auf das Verdeck eines Boots, mal versteckt sie sich hinter Sonnenbrille und Kaffeetasse. Persönlich ist sie aber vor allem natürlich, locker und bodenständig. «Viele Leute sagen, ich sei privat anders als auf Instagram», sagt die gebürtige Thurgauerin. Aber äusserlich erkennt man Krüsi wieder. Das sei es auch, worauf sie Wert lege:«Natürlich bearbeite ich meine Bilder gewissermassen – etwa die Farben. Aber ich würde mein Aussehen niemals so verändern, dass mich niemand mehr auf der Strasse erkennt.»

Authentizität inmitten Perfektion. Aber diese makellose Scheinwelt Instagrams mache Krüsi schon lange nichts mehr aus. «Ich nehme das nicht mehr so ernst.»

Eigene Geschäftsidee: Unterwäsche

Ihre Kreativität kann Krüsi mit einem Instagramkanal nicht ausreichend ausleben. Frecher und freizügiger zeigt sie sich auf ihrem zweiten Account: Leonessa Lingerie. Hier drehen sich die Beiträge um Krüsis Unternehmen – das Unterwäschelabel Leonessa Lingerie. «Ich habe meine Unterwäsche immer im Ausland eingekauft. In der Schweiz habe ich nur ganz selten etwas gefunden, das mir gefällt und auch bequem sitzt.»

Die Produkte werden in Portugal hergestellt, versandt aber von Krüsi höchstpersönlich: «Meine Wohnung sieht aus wie ein Warenlager. Ich verpacke alles von Hand und bringe es auf die Post», sagt sie. Krüsi hofft, dass ihr «Baby» schnell wächst und ihre Haupteinkommensquelle wird. «Ich hoffe, Leonessa Lingerie ist meine Zukunft – auch, falls Instagram eines Tages das Zeitliche segnet.»

veröffentlicht: 1. Februar 2020 18:10
aktualisiert: 1. Februar 2020 18:13
Quelle: Tagblatt

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