Thurgau

Foodwaste bei Apfel-Bauern – «Der Markt soll spielen»

26.10.2020, 09:15 Uhr
· Online seit 24.10.2020, 13:27 Uhr
Ein Thurgauer Bauer lässt 20 Tonnen seiner Äpfel verfaulen, weil sich die Ernte finanziell nicht lohnt. Es sind sich zwar alle einig, dass so etwas nicht passieren sollte. Die Problematik auf dem Mostobstmarkt ist jedoch vielschichtig – und eine Lösung zu finden schwierig.
Nico Conzett
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Die Geschichte des Thurgauer Bauern Max Wartenweiler im "Blick" wirft hohe Wellen. Er lässt 20 Tonnen Äpfel verfaulen, weil es sich finanziell nicht lohnt, diese zu ernten.

Rückbehalt wirft Fragen auf

Die Gründe für dieses Verhalten sind trotz der ökologischen Unsinnigkeit der Nicht-Ernte nachvollziehbar: Weil die Lager der Mostzentren aufgrund guter Vorjahresernten und sinkendem Obstsaft-Konsum der Schweizerinnen und Schweizer voll sind, versucht der Obstverband das überschüssige Obst im Ausland abzusetzen.

Weil die Preise dort wesentlich tiefer sind, muss das Schweizer Obst günstiger angeboten werden, als es hierzulande möglich ist. Deshalb existiert seit letztem Jahr ein sogenannter «Rückbehalt»: Die Bauern verzichten auf einen gewissen Betrag (bei Äpfeln in diesem Jahr 10.50 Franken pro hundert Kilogramm), den sie sonst selbst erhalten würden. So kann das Obstkonzentrat im Ausland günstiger angeboten werden.

Bei einem Richtpreis von 26 Franken pro 100 Kilogramm Äpfel, den die Bauern für gewöhnlich erhalten, eine massive Einbusse. Das macht es schwieriger, die Ernte wirtschaftlich lohnenswert durchzuführen und führt im Endeffekt zu Entscheidungen, wie derjenigen von Bauer Wartenweiler aus dem Thurgau.

«Markt soll spielen»

Der suboptimalen Situation ist sich auch Ralph Gilg, Präsident des Thurgauer Obstverbands, bewusst. Für ihn ist einerseits klar: «Das darf nicht passieren und ist unsinnig.» Andererseits räumt er ein, dass er die Entscheidung verstehen kann: «Wir wollen ja grundsätzlich, dass der Markt spielt. Dann muss jeder Bauer selbst entscheiden, ob er zu den aktuellen Konditionen produzieren kann und ob es für ihn betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, zu ernten oder nicht.»

Ob eine Ernte wirtschaftlich lohnenswert ist, hängt nebst dem Preis von verschiedenen Faktoren ab. Beispielsweise müssen die Bäume produktiv sein. Ältere Bäume produzieren nicht mehr gleich viel Obst wie jüngere. Zudem ist es auch wichtig, dass die Erntetechnik modern und damit effizient ist. Wenn ein Bauer diesbezüglich nicht fortschrittlich aufgestellt ist, könne es auch sein, dass sich eine Ernte nicht mehr lohne, sagt Gilg.

Der Rückbehalt, den die Obstverbände seit einem Jahr selbst verwalten, wurde bis dahin jahrelang vom Bund mitgetragen. Gilg betont, wie wichtig ein freier Markt auch für die Bauern ist: «Wir können den Markt nicht ewig mit Unterstützung des Bundes aufrecht erhalten, langfristig funktioniert das nicht.»

Subventionen durch Bund sind Fluch und Segen

Vom Bund subventioniert wird weiterhin die Bewirtschaftung von Hochstammbäumen (grosse Obstbäume aller Art). Bauern erhalten Geld, wenn sie Hochstammbäume pflanzen. Diese produzieren nicht nur Obst, sondern sind auch ökologisch wertvoll, beispielsweise für Vögel und Insekten.

Deshalb wurde der Anbau von Hochstammbäumen vom Bund und von Grossmostereien stark gefördert. Zu stark, sagt Christoph Bär, Leiter des Ressorts Mostobst beim Thurgauer Obstverband. «Die Bauern wurden beim Anbau der Bäume unterstützt, aber nicht beim Absatz des daraus entstehenden Obsts.» In Kombination mit der sinkenden Nachfrage nach Obstsaft seien sie so unweigerlich in die aktuelle, problematische Situation geraten.

Was sagt der Bund dazu? Daniel Meyer vom Bundesamt für Landwirtschaft entgegnet, dass die Anzahl der subventionierten Obstbäume seit mehreren Jahren rückläufig ist und somit durchaus der sinkenden Nachfrage entspricht. Ausserdem sei die Obstproduktion durch Hochstammbäume, welche zu einem grossen Teil direkt für Mostobst gedacht ist, gar nicht so hoch.

Vielmehr würde viel Tafelobst, welches ebenfalls überschüssig ist und nicht in den Läden verkauft werden kann, zu Mostobst «degradiert».

Anderweitige Verwendung schwierig

Eine alternative Verwendung für die überschüssigen Äpfel zu finden, ist ebenfalls nicht einfach. Milchbauern können einen Teil des Obstes als Tierfutter verwenden, möglich wäre auch die Verwertung als Biomasse zur Energieproduktion oder Kompostierung. Jedoch: «Die Arbeit und damit die Kosten für das Einsammeln bleiben», sagt Christoph Bär.

Für Bär ist klar, dass der Markt die Anzahl Hochstammbäume früher oder später regulieren wird. «Wir werden diesen Winter die ein oder andere Motorsäge aufheulen hören.» Auch wenn es schade um die gepflanzten Hochstammbäume ist: Immerhin wird es dann weniger Bauern geben, die die Ernte verfaulen lassen müssen.

veröffentlicht: 24. Oktober 2020 13:27
aktualisiert: 26. Oktober 2020 09:15
Quelle: FM1Today

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