Mehr als zwei Monate nach der Brandnacht ist die Igelstation Frauenfeld nun wieder in Betrieb: Der Raum ist hell erleuchtet, die Bewohner der zehn grünen Wannen schlafen oder kratzen an den Wänden ihrer Kartonhäuschen, einige verzehren gerade schmatzend ihr Nassfutter. Der Geruch von Katzenfutter, Putzmittel und der moschusartige Eigengeruch der Igel hängt in der Luft.
Mitten im Geschehen ist Margareta Schlumpf. Lediglich der Eingangsbereich der Station erinnert noch an die Brandnacht: eine verkohlte Tür, ein Loch in der Decke, der graue Himmel darüber. Das angrenzende Hauptgebäude sieht wesentlich schlimmer aus: Vom Dach des alten Militärgebäudes sind nur noch einige verkohlte Trägerbalken übrig geblieben.
Mutter hat die Nacht nicht überstanden
Die 73-Jährige ist eine der Verantwortlichen und bereits seit zehn Jahren ehrenamtlich im Dienst der hiesigen Igelstation – eine von fünf Igelstationen der Ostschweiz. 300 bis 400 Igel werden hier pro Jahr gepflegt. Schlumpfs Mitarbeiterin ist gerade dabei, eine der Wannen zu reinigen, als ein Fahrzeug der Tierrettung vorfährt.
«Die Romanshorner bringen noch Igel, das hatte ich fast vergessen», sagt Schlumpf, kurz bevor ein junger Mann den Raum betritt. Er hält zwei kleine Transportboxen in der Hand und sagt: «Zwei Igel vom Tierschutzverein Romanshorn.» Das Ganze erinnert ein wenig an eine Pizzalieferung. Die Käfige werden entgegengenommen, die Igel darin gewogen und in ihre Notunterkunft gelegt. «Einer davon wurde mit seiner Mutter abgegeben, aber sie hat die Nacht nicht überstanden», sagt der Kurier, bevor er wieder geht. Dem mitgelieferten Zettel entnimmt Schlumpf alle Informationen zu den beiden Neuankömmlingen.
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Igel brauchen keine Sterilität
«Wir sind von den grösseren Igelstationen die ‹unprofessionellste› und trotzdem haben unsere Igel die höchste Überlebenschance von 50 Prozent. Darauf können wir stolz sein», sagt Schlumpf. Unprofessionell, da sie nicht direkt einer Tierklinik angeschlossen sind und daher auch nicht gleich steril arbeiten.
Die Helferinnen desinfizieren die Wannen nur bei einem Bewohnerwechsel. Ansonsten wechseln sie lediglich die Zeitungen aus und säubern die Wannen mit einem ökologischen Reinigungsmittel. Mit diesem Prozess ist gerade ihre Mitarbeiterin beschäftigt.
Der Igel, dessen Wanne gereinigt wird, wartet dabei in einer Plastikbox am Boden darauf, dass er sein sauberes Zuhause wieder beziehen kann. «Igel sind keine Tiere, die Sterilität brauchen, sie gehen nachher auch wieder in die Wildnis», so Schlumpf. Auch wenn die Igelstation nicht direkt einer Tierklinik angeschlossen ist, stehen die Helferinnen bei medizinischen Fragen nicht alleine da: Eine der 13 Ehrenamtlichen ist eine pensionierte Tierärztin und für ernstere Fälle kann die Station auf die Hilfe der Tierklinik Müllheim und der Frauenfelder Tierarztpraxis Animedi zählen.
Die Bewilligung zur Igelpflege hat die Station, da sie dem Tierschutz Frauenfeld angeschlossen ist. Finanziert wird sie hingegen grösstenteils vom Verein der Ostschweizer Igelfreunde. Aber warum braucht es überhaupt Igelstationen? Weil Igel aufgrund von Lebensraumverlust und steigender Gefahren wie Verkehr oder Pestizide immer weiter gefährdet werden und daher als geschützte Tierart gelten.
Kleine Igel kommen auf die Babystation
Das monotone Geräusch der Abwaschmaschine mischt sich unter das stetige Rascheln der Igel in ihren Kartonhäuschen. Futterschüsseln werden gerade darin gereinigt, während Schlumpf das Futter für die beiden Neuankömmlinge richtet – Trockenfutter für Katzen garniert mit Sonnenblumenkernen und getrockneten Mehlwürmern. Gemeinsam mit einer Schüssel Wasser legt sie das Futter in die Abteile.
«Wenn die beiden bis heute Abend nicht richtig fressen, kommen sie auf die Babystation.» Was als Babystation bezeichnet wird, ist eigentlich das Zuhause von vier Ehrenamtlichen: Sie nehmen die Igel, welche noch nicht selbstständig fressen können zu sich nach Hause und geben ihnen alle zwei Stunden einen Schoppen – auch nachts. «Das hängt schon an, aber als Pensionierte kann ich auch mal am Mittag eine Stunde schlafen», so Schlumpf.
Während Igel als Festnahrung Katzenfutter bevorzugen, funktioniert es beim Milchersatz besser mit jener für Hundewelpen. Wenn die Kleinen dann selbstständig fressen können, kommen sie zurück auf die Igelstation. Dort bleiben sie, bis sie mindestens 400 Gramm schwer sind. Erst dann sind sie bereit für die Wiederauswilderung.
Zurück nach Hause
«Diese Familie ist eigentlich bereit für die Wiederauswilderung. Aber sie können nicht zurück nach Hause», sagt Schlumpf, während sie auf die Wanne neben den beiden Neuankömmlingen zeigt. Darin befindet sich eine Mutter mit drei Jungtieren.
Normalerweise wildern sie die Igel wieder an dem Ort aus, wo sie gefunden wurden, da sie dort bereits ein Revier besitzen und sich auskennen. Aber in seltenen Fällen – wie dem dieser Igelfamilie – wollen die Finder keine Igel mehr in ihren Gärten. Dafür hat die Igelstation eine Liste an igelfreundlichen Personen, welche ihren Garten gerne als Auswilderungsort anbieten.
«Wir können natürlich niemandem einen Hausigel liefern. Sie entscheiden selbst, ob ihnen der Ort passt oder nicht.» Trotzdem ist die Liste sehr hilfreich – auch nach der Brandnacht war sie von Vorteil: «Wir hatten das Glück, dass zum Zeitpunkt des Brandes fast alle Igel auf der Station kurz vor dem Auswilderungsgewicht waren.» So wurden noch bis am Abend des gleichen Tages 15 der 20 geretteten Igel wieder ausgewildert. Die anderen fünf waren noch zu klein und kamen daher in kontrollierte Aussengehege von zwei Mitarbeiterinnen, die sonst für die Überwinterung von Stationsbesuchern genutzt werden.