Hudelmoos

Rettung verwilderter Katzen – «Die Situation ist ausser Kontrolle»

· Online seit 04.11.2021, 06:01 Uhr
Im Ostschweizer Naturschutzgebiet Hudelmoos haben Tierschützer eine verwilderte Hauskatze mit sieben Jungen eingefangen und damit vor dem Tod gerettet. Das ist bei weitem kein Einzelfall.
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Scheu, geradezu verängstigt, blicken zwei junge Langhaarkatzen in die Kamera des Tierschutzvereins Mattwil. Und obwohl sie erst wenige Wochen alt sind, werden die beiden ihre Scheu wohl ein ganzes Leben lang nicht mehr ablegen.

«Die ersten paar Wochen sind prägend für das Leben der Katzen», sagt Bea Baumann, Präsidentin des Vereins Tierhilfe Schweiz in Mattwil. «Und ihre ersten Tage haben die Kätzchen im Wald im Hudelmoos verbracht.»

Das Hudelmoos ist ein Naturschutzgebiet im Grenzgebiet der Kantone St.Gallen und Thurgau. Dort sind sie als Junge einer verwilderten Katzenmutter zur Welt gekommen. Die Mitglieder des Tierschutzvereins haben die Tiere eingefangen und damit vor dem sicheren Tod gerettet.

«Das Muttertier hätte zwei Würfe, insgesamt elf Junge, durch den Winter bringen müssen. Dafür bräuchte es extrem viel Futter», sagt Baumann.

«Die Situation ist ausser Kontrolle»

Interessenten für die gefangenen Jungtiere gibt es genug. «Die Leute wollen die Kätzchen, weil sie süss sind. Doch diese Tiere sind verwildert und werden es zumindest teilweise immer bleiben», sagt Baumann. Die eigene Herzigkeit, wenigstens als Jungtiere, scheint den Katzen in der Schweiz zum Verhängnis zu werden. Die Tiere im Hudelmoos sind kein Einzelfall.

«Schuld ist der Egoismus der Menschen. Wenn man sich heute einsam fühlt, holt man sich eine Katze. Das ist praktisch: Die Tiere brauchen nicht besonders viel Aufmerksamkeit. Viele Katzen werden aber vernachlässigt und nicht kastriert, oft mit fatalen Folgen», sagt Baumann.

Für sie ist die Situation frustrierend: Die hohe Katzenpopulation führe zu Revierkämpfen und Stress für die Tiere, die unkastrierten Katzen vermehren sich. Es kommt zu Verwilderungen wie im Hudelmoos, die Tiere leiden, verwahrlosen, sind hungrig und oftmals krank. «Die Situation ist ausser Kontrolle, auch weil die Kastrationspflicht nicht zustande kam.»

Kastrationspflicht für Katzen abgelehnt

«In der Schweiz leben zwischen 100'000 und 300'000 herrenlose Katzen. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme besteht auch hierzulande ein Streunerproblem. Eine der Hauptursachen hierfür liegt darin, dass Privatpersonen ihre Freigänger-Katzen nicht kastrieren lassen und diese zusammen mit herrenlosen, unkastrierten Tieren ständig für weiteren Nachwuchs sorgen», heisst es auf Netap.ch (Network for animal protection).

Die Organisation führt jedes Jahr tausende Kastrationen durch und forderte unter anderem eine Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen. Die Petition dazu wurde im Jahr 2018 eingereicht. So sollten das Tierleid verringert und die Überpopulation der Hauskatzen reguliert werden.

Das Parlament hat die Kastrationspflicht jedoch abgelehnt, sehr zum Missfallen der beteiligten Organisationen.

Denn die hohe Katzendichte sei nicht nur für diese Spezies eine Belastung, sondern auch für andere Ökosysteme. Etwa den Wald, wo Jäger verwilderte Katzen abschiessen dürfen.

Bund erlaubt ganzjährigen Abschuss

«Verwilderte Katzen sind tatsächlich unerwünscht», sagt Roman Kistler, Amtsleiter der Thurgauer Jagd- und Fischereiverwaltung. Der Bund erlaubt den Abschuss im Wald ganzjährig, die Auslegung ist Sache der Kantone. Ob das in der Praxis tatsächlich stattfindet, bezweifelt Kistler jedoch: «In meinen 18 Jahren bei der Behörde habe ich nur einmal von einem Abschuss gehört.»

Die Jäger seien bei Katzen im Wald zurückhaltend. Denn die Unterscheidung sei nicht einfach und auch normale Hauskatzen könnten durchaus mal durch den Wald streifen. Dort verursachen sie grosse Schäden, denn Hauskatzen sind relativ grosse Räuber von Kleintieren. Und verwilderte Katzen umso mehr.

Kistler geht nicht davon aus, dass es hunderttausende verwilderte Katzen in der Schweiz gibt. Dies sei auch Definitionssache: «Eine verwilderte Katze ist für mich eine, die kein Zuhause hat und grösstenteils im Wald lebt.»

Auch in Sachen Hauskatzen-Überpopulation ist Kistler vorsichtig: «Wir wissen nicht genau, wie viele Hauskatzen es im Kanton Thurgau und der Schweiz gibt.» Dass sich unkastrierte Hauskatzen schnell vermehren, sei jedoch klar, deren ungewollter Nachwuchs sei auch oft der Ursprung der verwilderten Tiere.

Die Situation, dass es einen Teil verwilderter Hauskatzen gebe, bestehe schon lange. Eine Änderung sei nicht absehbar. Einsätze wie im Hudelmoos wird es für die Tierschützer auch in Zukunft noch geben.

veröffentlicht: 4. November 2021 06:01
aktualisiert: 4. November 2021 06:01
Quelle: FM1Today

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