Verschwörungstheorien

Satanismuserzählungen in Privatklinik Littenheid? Thurgau beschliesst Massnahmen

03.12.2022, 12:59 Uhr
· Online seit 02.12.2022, 11:33 Uhr
Ein SRF-Beitrag thematisierte vor einem Jahr verschwörungstheoretische Erzählungen in Therapien. Vorwürfe wurden auch gegen einen Arzt der Clienia Littenheid laut. Der Kanton Thurgau leitet eine Untersuchung ein. Nun liegt der Bericht vor.
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Der Kanton Thurgau ergreift aufsichtsrechtliche Massnahmen gegen die Clienia Littenheid AG, wie er in einer Medienmitteilung schreibt. Hintergrund der Untersuchung ist die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control», die in den Traumatherapie-Stationen der Klinik ein Thema war.

Wie das Tagblatt schreibt, hatte das Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau im Frühjahr 2022 eine Administrativuntersuchung gegen die Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie eingeleitet, nachdem Vorwürfe von Verschwörungserzählungen erhoben worden waren. Nun liegt der externe Bericht vor. Die Experten kommen gemäss Mitteilung des Kantons zum Schluss, dass die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» in den Traumatherapie-Stationen der Klinik im untersuchten Zeitraum ein Thema war. Andere Abteilungen sind nicht betroffen. Das Departement habe die erforderlichen Massnahmen eingeleitet.

Externe Anwaltskanzlei untersucht Vorwürfe

Im Nachgang zu Berichten in den Medien und aufgrund von Hinweisen Betroffener hat das Departement für Finanzen und Soziales eine externe Untersuchung zur Behandlung von Patientinnen und Patienten der Traumatherapie-Station der Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid AG in Auftrag gegeben. Gegenstand der Untersuchung war die Frage, ob die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» in den Traumatherapie-Stationen Einzug gehalten hat. Dabei geht es ausschliesslich um diese Stationen, die anderen Abteilungen der Klinik sind nicht betroffen, heisst es in der Mitteilung.

Der Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Lexperience AG, die namhafte Experten hinzugezogen hatte, liegt nun vor. Der Bericht zeigt auf, dass vor allem einer der Ärzte ein besonderes Interesse am Thema rituelle Gewalt bis hin zu einer Faszination für satanistische rituelle Gewalt und Mind Control entwickelt und die Kultur der beiden Traumastationen beeinflusst hat. Er hat beispielsweise Weiterbildungen zu dem Thema organisiert, über die auch seine vorgesetzte Stelle informiert war.

An einer diesen Weiterbildungen hat ein beachtlicher Teil der Belegschaft der Traumatherapie-Stationen teilgenommen und sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» floss daher nicht nur in die Therapie eines einzelnen Arztes, sondern in weite Teile der Behandlungen in den Traumastationen ein.

Zum Ausmass des Glaubens an die Verschwörungstheorie liegen gemäss Untersuchungsbericht unterschiedliche Aussagen vor. Die externen Verfasserinnen und Verfasser des Untersuchungsberichts kommen zum Schluss, dass rituelle Gewalt bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten im untersuchten Zeitraum nicht nur ein Thema war, sondern dass die Klinik nach Bekanntwerden der Vorwürfe bei deren Aufarbeitung nicht sorgfältig vorging.

Untersuchungsbericht empfiehlt unabhängige Meldestelle

Der Untersuchungsbericht enthält neun Empfehlungen zur Klärung und Aufarbeitung. Dazu gehört unter anderem die Prüfung durch die Klinik, ob die Verschwörungserzählung «rituelle Gewalt/Mind Control» Eingang in die Patientenakten gefunden hat und gegebenenfalls eine unabhängige Überprüfung der Diagnosen und Therapien aller betroffenen Patienendossiers. Weiter sei die Einrichtung einer unabhängigen Meldestelle für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber sowie die Einrichtung einer Ombudsstelle für Beschwerden von Patientinnen und Patienten zu prüfen.

Zu beheben sei die Doppelfunktion der vorgesetzten Stelle in Bezug auf die Ausübung ihrer Verantwortung und Aufsicht für das Zentrum für Psychotherapie und Psychosomatik. Auffällig ist zudem, dass die Ausbildung, Supervision und Zertifizierung von ein- und derselben Stelle (Schweizer Institut für Psychotraumatologie SPIT) erfolgt. Die Ausbildung, Supervision und Zertifizierung seien zu trennen und hätten unabhängig zu erfolgen.

Das Departement für Finanzen und Soziales hat aufgrund des Inhalts des Berichts gegen die Klinik aufsichtsrechtliche Massnahmen eingeleitet, die sich an den Empfehlungen des Berichts orientieren. Zudem werden die Berufsausübungsbewilligung eines Arztes entzogen, und ein disziplinarischer Verweis sowie diverse Bussen werden ausgesprochen. Ausserdem wurden verschiedene Strafanzeigen eingereicht. Sämtliche aufsichtsrechtlichen Massnahmen sind noch nicht rechtskräftig. 

Oberärztin freigestellt

«Wir haben Fehler gemacht, und das tut uns in aller Form leid», sagte Daniel Wild, Klinikdirektor und stellvertretender CEO der Clienia-Gruppe am frühen Freitagabend an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz. Stunden zuvor hatte die Klinikleitung einen einschneidenden Personalentscheid gefällt: «Nachdem wir am Donnerstagabend darüber informiert wurden, dass gegen die Chefärztin und ärztliche Direktorin ein Strafverfahren eingeleitet wurde, haben wir uns umgehend von ihr getrennt und sie per sofort freigestellt», sagte Wild. Dies geschah am Freitag kurz vor Mittag, nachdem die Betroffene am Morgen wie üblich ihren Arbeitsalltag in Angriff genommen hatte.

Die Bestürzung über die Situation sei gross bei ihr, erklärte Wild auf Nachfrage. «Es ist eine sehr verdiente Person, das macht auch uns betroffen.» Nun geht es an die Aufarbeitung. Wild versichert, die aufgedeckten Mängel gemäss den im Bericht vorgeschlagenen Empfehlungen zu beheben. «Erste wichtige Massnahmen wurden bereits umgesetzt.» So sei der Wechsel der oberärztlichen und der psychologischen Leitung in beiden Traumastationen im Vollzug und die Konzepte seien in Überarbeitung. «Für uns gilt der evidenzbasierte Ansatz in der Therapie.»

(SK/dar)

veröffentlicht: 2. Dezember 2022 11:33
aktualisiert: 3. Dezember 2022 12:59
Quelle: Tagblatt

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