Waschbär bricht in Gehege ein und frisst Schildkröten
In Frauenfeld ist der Waschbär los: Schon mehrere Male soll der Räuber zugeschlagen haben, im Huben in der Nähe des Spitals und direkt beim Schulhaus Langdorf, schreibt das «St.Galler Tagblatt». Gerüchten zufolge schleiche er auch bei der Zuckerfabrik und in der Bannhalde herum – also praktisch ist er in der ganzen Stadt unterwegs.
Zwei Schildkröten tot im Langdorf
Angefangen hat alles Ende Mai im Garten von Andrea Rosenberg. Sie sagt: «Am Donnerstagabend habe ich wie immer den Stein vor den Schildkröten-Unterschlupf gelegt. Am Freitagmorgen sah ich das Massaker.»
Ihre beiden Schildkröten Hulda und Lumpi lagen auf dem Rücken – ausser den Panzern war von ihnen nicht mehr viel übrig. Das Raubtier, Rosenberg vermutete erst einen Fuchs oder einen Marder, musste den Stein zur Seite gestossen haben und in den Unterschlupf eingedrungen sein. Rosenberg sagt: «Es tut mir weh. Die beiden Schildkröten waren schon 70 Jahre alt und hätten hier einen ruhigen Lebensabend verbringen sollen.»
Sie habe die Tiere vor einem Jahr von einem Rentner übernommen, das Gehege sei ein Schulprojekt ihrer Tochter. Jetzt steht es leer.
Um herauszufinden, wer für den Tod von Hulda und Lumpi verantwortlich war, installierte Rosenberg eine Kamera und liess vom Plättli-Zoo eine Falle aufstellen. Den Räuber lockte man mit Speck – und hatte Erfolg. Drei Nächte später kam er zurück.
Der Waschbär war in der Falle – und entwischte
Auf den Videoaufnahmen zu sehen: weder ein Fuchs noch ein Marder, sondern zweifelsfrei ein Waschbär. Rosenberg sagt: «Er ging wieder in den Stall hinein, um zu schauen, ob es noch mehr zu holen gibt.» Ein paar Tage später tappte er in die Falle. Sie habe beide Ausgänge mit je einem Brett und drei grossen Steinen verschlossen, aber: «Der Waschbär ist so lange hin- und hergewippt, bis er sich befreien konnte.»
Rosenberg ärgert sich darüber, dass der Waschbär fliehen konnte, denn für sie besteht kein Zweifel, dass er ihre Schildkröten auf dem Gewissen hat. Sie sagt: «Es war wirklich kein schöner Anblick.» Schildkröten könnten Kopf und Beine einziehen, aber den Schwanz nicht. Der Waschbär habe deshalb vom Schwanz her begonnen zu fressen und die Tiere dann regelrecht ausgesaugt. «Ich hoffe, sie hatten trotzdem einen schnellen Tod.»
Der Jagdaufseher hat seine Zweifel
Vor knapp zwei Wochen wiederholten sich die Geschehnisse, diesmal oben am Kantonsspital, im Garten von Rosenbergs Schwiegermutter. Drei Schildkröten liegen auf dem Rücken, eine davon ist tot. Und Andrea Rosenberg kennt noch einen Fall: «Eine Freundin, die in der Bannhalde wohnt, hat auf die gleiche Weise ebenfalls zwei Schildkröten verloren.»
Von toten Hasen oder Hühnern wisse sie nichts, sagt Rosenberg, und vermutet: «Schildkröten machen keinen Radau. Das hat der Waschbär wahrscheinlich gemerkt.» Auch wenn zumindest im ersten Fall vieles darauf hindeutet: Es ist nicht bewiesen, dass nur ein Waschbär die Schildkröten getötet hat. Fredy Breitenmoser, der im Frauenfelder Stadtgebiet Jagdaufseher ist, sagt: «Das bringt auch ein Marder fertig.»
Die Fotofalle als einziger Beweis
Seit knapp sieben Wochen wisse er vom Waschbären, sagt Breitenmoser. Sein einziger Beweis für die Existenz des Raubtiers: die Bilder von Andrea Rosenbergs Kamera. Könnte es sein, dass sich sogar mehrere Waschbären in Frauenfeld tummeln?
Breitenmoser sagt: «Es sind sicher nicht so viele Waschbären wie Füchse unterwegs, aber ob es ein einzelner, zwei oder drei sind, darüber will ich keine Aussage machen.» Den Fall hat er mittlerweile der kantonalen Jagdverwaltung übergeben.
Der Waschbär ist gebietsfremd und damit unerwünscht
Beim Kanton weiss man auch nicht viel mehr. Es habe in den letzten Jahren immer wieder Sichtungen gegeben, auch belegte, allerdings vor allem im Raum Kreuzlingen und Seerücken, sagt Michael Vogel von der Jagdverwaltung. Für die Stadt Frauenfeld sei ausser den Bildern aus Rosenbergs Garten nichts Handfestes bekannt.
Klar ist nur: «Waschbären sind eine gebietsfremde Art, die Problempotenzial mitbringt. Sie gehören nicht hierher.» Für solche Tiere gelte «Vorsicht vor Nachsicht», denn man wisse nicht, welche Krankheiten sie übertragen könnten. Konkret heisst das: Der Waschbär muss weg. Vogel sagt: «Im Moment versuchen wir herauszufinden, wo er ist.» Wer ihn sehe, solle sich bei der Jagdverwaltung melden.
Kein Abschuss auf Stadtgebiet
Sollte es gelingen, den Waschbären aufzuspüren, käme Fredy Breitenmoser wieder ins Spiel. Er sagt: «Wenn irgendwie möglich, muss ich ihn dann einfangen. Schiessen kann ich ihn im bewohnten Gebiet nicht, das ist viel zu gefährlich.» Bis dahin appelliert er an die Vorsicht der Haustierhalterinnen und -halter: «Man kommt nicht drum herum, die Tiere abends sicher einzusperren.»
Für die Rosenbergs kommt dieser Rat zu spät. Heute Morgen erreicht die Redaktion die Nachricht, dass im Garten von Andrea Rosenbergs Schwiegermutter im Huben noch eine Schildkröte getötet worden ist – trotz verriegeltem Unterstand. Von ursprünglich fünf Tieren ist damit nur noch eines übrig.
Immerhin: Als Ersatz für Hulda und Lumpi hat der Plättli-Zoo Andrea Rosenberg zwei neue Schildkröten angeboten. Sie sagt aber: «Zuerst muss das Viech weg sein.»