Thurgauer Landwirte ärgern sich über Ämter

· Online seit 15.07.2019, 05:31 Uhr
Flirrende Hitze und pralle Sonne: Ende Juni war es in der Schweiz über 30 Grad heiss. Genau in dieser Zeit mussten sich die Landwirte mit ihren Kühen auf die Alp aufmachen. Ein ehemaliger Landwirt hörte davon und versuchte, beim Veterinäramt Thurgau eine Aufhebung des Nachtfahrverbots von Alpviehtransporten zu erreichen – ohne Erfolg.
Stefanie Rohner
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Die Geschichte fängt mit einer einfachen Anfrage beim Strassenverkehrsamt an. Der Fahrer einer Landwirtin hat dort angefragt, ob er mit dem Viehtransport früher als üblich starten dürfe. Er wollte um Mitternacht starten, da er einen Weg von vier Stunden bis zur Talstation vor sich hatte.

Die Kühe mussten dann noch eineinhalb Stunden an der prallen Sonne auf die Alp laufen. Aufgrund des Nachtfahrverbots in der Schweiz wäre ein früherer Transportstart nur mit einer Sonderbewilligung möglich.

«Eine Landwirtin hat mich darüber informiert und mir gesagt, dass das Strassenverkehrsamt die Anfrage abgelehnt habe», sagt Ueli Siegfried aus Dussnang. Dem ehemaligen Landwirt ist das sauer aufgestossen.

«Ich war wütend darüber und entschloss, beim Veterinäramt anzurufen. Ich habe gefordert, dass es sich der Sache annimmt und ab Mittwoch das Nachtfahrverbot aufhebt. Es ging nur um die eine heisse Woche», sagt Siegfried.

«Ich war einfach enttäuscht»

Die Aufforderung, sich schnell und unbürokratisch für das Tierwohl einzusetzen, sei beim Veterinäramt nicht gut angekommen und es sei hitzig miteinander diskutiert worden, sagt Siegfried. Er räumt ein, dass er sauer war. «Ich war einfach enttäuscht, dass ein Amt nichts macht. Ich wollte zuerst an die Medien, entschloss mich dann aber, die Ämter abzuklappern», sagt Siegfried.

Ein Amt nach dem anderen verwies ihn weiter oder zurück ans Veterinäramt. Das Landwirtschaftsamt sagte, das Veterinäramt sei zuständig, das Strassenverkehrsamt Zürich gab den Ball weiter an das Astra und das Strassenverkehrsamt Thurgau sah keine Möglichkeit, den Hebel anzusetzen.

«Auch sie haben mich an das Astra verwiesen, diese meinten jedoch, ich solle mich ans Landwirtschaftsamt wenden», sagt Siegfried. Er sagt aber auch, dass alle diese Ämter der Idee grundsätzlich positiv eingestellt waren, aber sagten, sie seien nicht zuständig.

Landwirte fürchten Konsequenzen

Eine schnelle Lösung war nicht in Sicht, die heisse Woche war längst Geschichte. «Ich wollte mich für das Tierwohl einsetzen und bin überall abgeblitzt. Wenn aber ein Tier auf einer solchen Fahrt verendet, sind wieder alle Ämter zuständig», sagt Siegfried.

Kühe mögen es eher kühl. «Stellen Sie sich mal vor, Sie müssen bei 25 bis 30 Grad an der prallen Sonne auf die Alp laufen. Das wird für die Kühe ähnlich unangenehm sein. Wenn man schon die ganze Zeit sagt, man müsse aufpassen bei dieser Hitze, gilt das doch auch für das Tier», sagt Siegfried.

Ob für das kommende Jahr eine Aufhebung des Nachtfahrverbots möglich wäre, ist unklar. «Im Kanton Aargau wurde es beispielsweise aufgehoben – es würde also gehen. Das Veterinäramt meinte, ich müsse eine Petition einreichen. Die Landwirte fürchten aber, dass sie mit Konsequenzen durch das Amt rechnen müssen, wenn sie unterschreiben», sagt Siegfried. Er hofft nun, dass etwas für die kommenden Jahre in die Wege geleitet wird.

«Kompetenzen liegen nicht beim Veterinäramt»

Das Veterinäramt Thurgau hat auf Anfrage von FM1Today lediglich eine schriftliche Stellungsnahme dazu abgegeben, für ein Interview war niemand zu erreichen. Das Veterinäramt schreibt:

«Dem Anrufer wurde erklärt, dass eine Ausnahme vom Nachtfahrverbot nur von der dafür zuständigen Behörde, in diesem Fall dem Strassenverkehrsamt, bewilligt werden könne und dass dem Veterinäramt in strassenverkehrsrechtlichen Belangen keinerlei Kompetenz zukomme.»

Gleichzeitig sei der Anrufer aufgefordert worden, das Anliegen schriftlich einzureichen, damit dieses an die zuständige Stelle weitergeleitet werden könne. Eine solche Eingabe sei bis heute nicht erfolgt.

«Der Anrufer erweckte mit seinen Äusserungen den Eindruck, dass es ihm nicht primär und die Tierschutzproblematik ging, sondern darum, über eine allfällige Aufhebung des Nachtfahrverbotes sicherzustellen, dass möglichst viele Tiere möglichst früh auf die Alp verbracht werden können, damit die Mindestaufenthaltsdauer, die eine Anspruchsvoraussetzung für die landwirtschaftlichen Alpbeiträge darstellt, eingehalten werden kann. Dies ist aufgrund der langanhaltenden winterlichen Verhältnisse auf den Alpen heuer nicht ohne Weiteres sichergestellt», schreibt das Amt weiter.

Die Tiere müssen sich mindestens während hundert Tagen auf der Alp aufhalten, ansonsten werden Alpbeiträge gekürzt. Deshalb können die Landwirte, so sagt Siegfried, den Alpaufzug nicht einfach verschieben.

Ausnahmebewilligungen sind möglich

Auf die Frage betreffend des Tierwohls schreibt das Veterinäramt: «Es trifft grundsätzlich zu, dass Kühe, was die Hitze angeht, relativ temperatursensibel sind. Das Nachtfahrverbot gilt nur von 22 bis 5 Uhr, was es einem Tierhalter bei vorausschauender Planung und mit geeigneten Hilfsmitteln (ordentliche Belüftung des Transportmittels) grundsätzlich ermöglichen sollte, auch im Sommer einen Alptransport unter Einhaltung der gesetzlichen Tierschutzvorgaben durchführen zu können.»

Sollte dies aufgrund ganz ausserordentlicher Temperaturverhältnisse ausnahmsweise nicht möglich sein, so das Veterinäramt, stehe es jedem Tierhalter frei, bei der zuständigen Stelle eine entsprechende Ausnahmebewilligung vom strassenverkehrsrechtlichen Nachtfahrverbot zu beantragen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür bestünden.

Das jedoch sei eine Kostenfrage, sagt ein Thurgauer Landwirt, der den Entscheid der Ämter nicht verstehen kann. Solche Sonderbewilligungen seien teuer. «Mein Fahrer hat beim Strassenverkehrsamt und beim Veterinäramt des Kantons Zürich ebenfalls eine Anfrage gestellt. Sie wurde auch abgelehnt», sagt der Bauer, der anonym bleiben möchte.

«Gesunden Menschenverstand walten lassen»

Er meint, die Ämter sollten in einem solchen Fall das Nachtfahrverbot lockern. «Das Wetter wird ja immer extremer. Der Umschwung von heiss zu kalt, von Hitze zu Schnee passiert schneller als früher, deshalb sollten alle über die Bücher.» Der Thurgauer Landwirt hat in Graubünden eine Alp gepachtet und er verbringt selbst jeweils den Sommer dort. Auch seine Anfahrtswege sind lang.

«Sobald wir in den Stau oder in eine Kontrolle kommen, haben wir ein Problem. Steht das Fahrzeug, wird es schnell heiss. Als wir angekommen sind, waren die Kühe nass geschwitzt und erschöpft. Dennoch mussten sie noch auf die Alp laufen, das war für die Tiere eine Tortur», so der Landwirt.

Kühe würden zwar mehr wegstecken als wir Menschen, aber in diesem Jahr sei es zu extrem gewesen. Er hofft, dass die Ämter nächstes Jahr kulanter reagieren. «Man muss doch nur den gesunden Menschenverstand walten lassen.»

 

veröffentlicht: 15. Juli 2019 05:31
aktualisiert: 15. Juli 2019 05:31

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