Verteidigung: Pädophiler soll freikommen

· Online seit 21.08.2019, 17:31 Uhr
Vor dem Kreisgericht Toggenburg stand am Mittwoch ein 65-jähriger Ostschweizer, der zwischen 2007 und 2014 kinderpornografische Bilder und Videos von mehreren Mädchen herstellte. Zwei Mädchen soll er mehrfach sexuell missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren, die Verteidigung die sofortige Freilassung des Angeklagten.
Lara Abderhalden
Anzeige

Seine mit Falten überzogenen Hände ruhen auf der Tischplatte, er trägt eine blaue Jacke, beige Hosen, die Beine sind überkreuzt. Seine geröteten Augen, die durch die Brille deutlich vergrössert sind, fixieren einen Punkt auf dem gelben Ordner, der vor ihm auf dem Tisch liegt. Der Angeklagte wirkt ruhig.

«Ich schäme mich»

Redet der 65-Jährige, tut er dies deutlich. Er ist bereit, über die Taten zu sprechen und diese auch zuzugeben. Er betont mehrfach, dass er alles bereue. «Ich schäme mich unheimlich, für das, was ich gemacht habe.» Er habe sich in Therapien oft gefragt, wieso er tat, was er tat: «Was bin ich für ein Mensch, weshalb mache ich solche abscheulichen Taten?»

Als der Richter des Kreisgerichts Toggenburg in Lichtensteig die sexuellen Handlungen mit Minderjährigen ausführt, hört der Angeklagte aufmerksam zu. Der Richter hat sichtlich Mühe, die Details vorzulesen, stockt immer wieder, runzelt die Stirn, richtet die Brille und fragt den Angeklagten schliesslich, ob das alles stimme. Der Angeklagte nickt und sagt: «Ja, das ist so geschehen.»

Bei «Nein» wurde der Angeklagte aggressiv

Während die Staatsanwältin den Fall aufrollt, beschreibt, wie der 65-Jährige die fünf bis zwölfjährigen Mädchen in anzüglicher Kleidung, verschiedenen sexuellen Posen und bei sexuellen Handlungen fotografierte und filmte, tuschelt der Angeklagte immer wieder mit seinem Anwalt.

Die Staatsanwältin schildert, wie der Mann unter anderem in seinem Haus im Toggenburg, ein 5-jähriges Mädchen aus der Slowakei und ein 10-jähriges Mädchen aus Polen mehrmals zu Oralsex zwang und dabei die finanzielle Notlage der Mädchen und deren Mütter ausnutzte. «Er half uns, als wir finanzielle Schwierigkeiten hatten», wird die heute 22-jährige Polin zitiert. «Als Gegenleistung wollte er Sex von mir. Ich hatte Angst und fürchtete mich vor ihm.» Mehrmals habe er dem Mädchen gedroht, dass es nicht mehr nach Hause nach Polen dürfe, wenn es seinen Befehlen nicht gehorche.

Gemäss Staatsanwältin habe die Polin immer wieder «Nein» gesagt, dies sei vom Angeklagten nicht geduldet worden: «Immer wenn ich ‹Nein› sagte, wurde er aggressiv», wird die damals 10-Jährige zitiert. Die Staatsanwältin betont, dass der 65-Jährige die Mädchen gefügig machte. Er habe sie auf Gehorsam getrimmt. Das Mädchen aus Polen war alleine in der Schweiz. Die Mutter der 10-Jährigen war in Polen, wusste nichts von den Übergriffen, bekam aber immer wieder Geld, was Bankbelege beweisen würden. «Auch wenn das Mädchen hätte flüchten können, hätten sie sich an niemanden wenden können. Sie hatten in der Schweiz keine Bezugsperson», sagt die Staatsanwältin.

Weitere Kinderpornos im Gefängnis

Die anfänglich 5-jährige Slowakin und deren Mutter wurden während eineinhalb Jahren mehrheitlich im Toggenburg vom Angeklagten missbraucht. Wobei die Mutter teilweise gezwungen wurde, ihr Kind zu schminken, ihm anzügliche Kleidung anzuziehen oder es in Szene zu setzen.

Im dritten Fall geht es um kinderpornografische Aufnahmen, die der Angeklagte in Polen zwischen 2011 und 2014 im Gefängnis von einer Ukrainerin bekam. Der Angeklagte verlangte von der Mutter, ihre 7-jährige Tochter nackt zu fotografieren. Dabei gab er klare Anweisungen, wie das Mädchen anzuziehen sei und posieren müsse.

Der Angeklagte war zwei Jahre in Untersuchungshaft in Polen dies teilweise in Isolationshaft. Ihm wurde dort der sexuelle Missbrauch der 10-jährigen Polin in der Schweiz vorgeworfen. Die kinderpornografischen Aufnahmen habe er gemäss Staatsanwältin über ein Handy erhalten, das er in seiner Zelle hatte.

Freispruch von sexueller Nötigung und Schändung gefordert

Die Staatsanwältin fordert die Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis und stationäre Massnahmen. Dies, weil der Angeklagte eine hohe Manipulationstendenz habe und genau wisse, was er tue. Die Kinder würden heute noch leiden und, das Risiko, dass der Mann rückfällig werde, dürfe nicht in Kauf genommen werden.

Die Verteidigung fordert, dass der Angeklagte von der Anklage der mehrfachen Nötigung und Schändung freizusprechen sei. Eine Zwangslage sei in den Fällen der 5-jährigen Slowakin und der 10-jährigen Polin nicht bewiesen. Im Fall der 10-jährigen Polin habe der Angeklagte nicht die finanzielle Notlage ausgenutzt. Die junge Polin sei freiwillig zum 65-Jährigen gekommen und sei sich bewusst gewesen, dass sie für sexuelle Handlungen Geld oder Wertsachen wie Smartphone, Computer oder ein Fahrrad erhielt. Ausserdem hätten sie und ihre Mutter sich nicht in einer finanziellen Notlage befunden.

Im Fall der der 5-jährigen Slowakin sei das Mädchen urteilsfähig gewesen und hätte sich auch gewehrt. Sobald dies geschehen sei, habe der Angeklagte dies akzeptiert. Es wird ein Fall beschrieben, in dem das Mädchen nicht mehr wollte und nach den sexuellen Handlungen den Raum verliess und in ihr Zimmer ging. Deshalb könne nicht von Schändung und Nötigung die Rede sein, argumentiert die Verteidigung.

Angeklagter sei nach Gerichtsverhandlung frei zu lassen

Ins Strafmass miteinbezogen werden müsse ausserdem, dass es den Mädchen mittlerweile gut gehe und sie nicht schwer traumatisiert seien. Die heute 17-Jährige Slowakin sei selbst Mutter und die heute 22-jährige Polin hätte anfänglich Suizidgedanken gehabt und eine Psychologen gebraucht, mittlerweile aber nicht mehr, sagt der Verteidiger. Ausserdem habe der Angeklagte einem Teil der Opfer bereits freiwillig eine Genugtuung gezahlt.

Er fordert deshalb eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Mit Anrechnung des vorzeitigen Strafvollzugs und der Untersuchungshaft in der Schweiz und in Polen hat der Angeklagte bereits 7,5 Jahre abgesessen. Deshalb sei der 65-Jährige nach den Gerichtsverhandlungen in die Freiheit zu entlassen, fordert der Verteidiger. Der Angeklagte sei ungefährlich, das Rückfallrisiko moderat. Trotzdem möchte der Angeklagte weiterhin Therapien besuchen und Bewährungshilfe in Anspruch nehmen.

«Möchte nie wieder zum Täter werden»

Abschliessend sagt der Verteidiger, dass sein Mandant endlich das Anrecht auf eine faire Verhandlung habe, da er früher Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und von seiner Mutter weggenommen wurde.

Das letzte Wort hat der Angeklagte. Er erhebt sich, öffnet seinen gelben Ordner und beginnt zu sprechen: «Was ich vor zehn Jahren gemacht habe, ist unentschuldbar. Ich habe durch Manipulationen, Kinder die das nicht wollten, zu sexuellen Handlungen gezwungen und so ihr kindliches Vertrauen gebrochen.» Die Stimme des Angeklagten ist brüchig, er ist den Tränen nahe. Er schäme sich, bereue die Taten und wünsche sich, die Zeit zurück drehen zu können. «Ich versuche durch die Therapien Risiken zu erkennen und nie wieder zum Täter zu werden.»

Das Urteil wird schriftlich eröffnet.

veröffentlicht: 21. August 2019 17:31
aktualisiert: 21. August 2019 17:31
Quelle: abl

Anzeige
Anzeige