Mit Menschenhandel wird vor allem illegale Prostitution in Verbindung gebracht. Auch das reguläre Sexgewerbe ist betroffen, aber es gibt nicht nur Verbindungen zur Prostitution. Der Menschenhandel hat auch in der Schweiz verschiedene Gesichter und zieht sich teilweise auch durch die Landwirtschafts- und Baubranche.
Die globalen Entwicklungen der letzten Jahre, welche die finanzielle Situation vieler Menschen verschlechtert haben, wirken sich nun auch in diesem Bereich aus. Im Glauben daran, die persönliche Situation oder jene der Familie zu verbessern, geraten scheinbar zunehmend Personen in die Fänge von Menschenhändlern.
50 Prozent mehr Fälle
Pünktlich zum 18. Oktober, dem europäischen Tag gegen Menschenhandel, präsentieren die Schweizer Beratungsstellen der «Plateform Traite» aktuelle Zahlen. Verglichen mit dem Jahr 2019, als die Zahlen zum erstmals zusammengetragen wurden, sind die Fälle um 50 Prozent angestiegen – von 142 auf 207.
Die tatsächlichen Gründe für die Zunahme sind schwer auszumachen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. «Wenn genauer hingeschaut wird, kommen auch mehr Fälle ans Licht», sagt Doro Winkler, von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration Fiz. Allerdings könne der Anstieg der entdeckten Fälle auch mit der gestiegenen Gesamtmenge zusammenhängen.
Will heissen: Es werden mehr Fälle entdeckt, weil es einfach mehr geschieht. Die Ostschweiz als Grenzregion biete sich grundsätzlich für den Menschenhandel an, bestätigt Winkler. Auch wenn die Quantifizierung schwierig sei, denn die Dunkelziffer ist extrem hoch.
«Betroffene melden sich nicht bei der Polizei»
Entdeckt würden solche Machenschaften oft nur als Kontrolldelikte. «Etwa bei einer Überprüfung in einem Bordell», sagt Hanspeter Krüsi, Leiter Kommunikation der Kantonspolizei St.Gallen, «Betroffene melden sich in der Regel nicht bei uns und machen auch kaum Aussagen».
Auch hier sind die Gründe vielfältig, die Angst ist gross. «Die Betroffenen fürchten um das wenige Geld, dass sie hier verdient haben. Dazu kommen allenfalls schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit mit der Polizei in ihren Ländern – und die Angst vor den kriminellen Organisationen, die Druck auf die Personen ausüben», sagt Krüsi.
Eine grosse Veränderung, vermehrten Menschenhandel, kann er in St.Gallen jedoch nicht feststellen.
Strukturelle Defizite?
Tatsächlich sind die Zahlen im Kanton tief. 2021 verzeichnete die Kantonspolizei lediglich drei Fälle, im Jahr davor war es nur ein Fall. Während tiefe Fallzahlen erstmal positiv scheinen, tauchen jedoch schnell auch Fragen auf.
Eine aktuelle Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte bewertet das Menschenhandel-Risiko für den Kanton als «mässig, jedoch durchaus vorhanden», die getroffenen Massnahmen als «ausreichend».
Trotz ausgewiesener Risikolage sind die Zahlen also tief. Möglicherwiese zu tief. Der laut Doro Winkler von der Fiz gut aufgestellte Kanton Thurgau beispielsweise, weist trotz tieferer Risikolage als St.Gallen mit neun Fällen (2009-2018) fast gleich viele auf wie St.Gallen mit 13.
Luzern, in der gleichen Kategorie wie St.Gallen, deckte im gleichen Zeitraum 41 solcher Fälle auf. «In Kantonen, wo spezialisierte Stellen mit Fachpersonen bestehen und zusammenarbeiten, stellen wir mehr aufgeklärte Fälle fest», sagt Winkler.
Im Kanton St.Gallen gibt es laut der Studie keine derartigen Einrichtungen, es besteht auch keine institutionalisierte Zusammenarbeit mit der Fiz, was Winkler bedauert.
Auch Abseits vom Sexgewerbe
Ob St.Gallen nun genug investiert in die Bekämpfung des Menschenhandels oder nicht: Das Problem besteht unbestritten, genauso, wie überall sonst. Speziell im Fall der Ostschweiz: Das Risiko ist laut der Studie gerade abseits des Sexgewerbes hoch.
In Appenzell Innerrhoden und Auserrhoden besteht das Risiko für Menschenhandel vor allem im landwirtschaftlichen Bereich, im Kanton Graubünden auch in der Baubranche.
Derartige Fälle kämen auch im Kanton St.Gallen vor, sagt Krüsi: «Auf einem Bauernhof wurde zum Beispiel in der Vergangenheit ein unterernährter Mann entdeckt, der dort unter prekären Bedingungen lebte und als Arbeitskraft ausgenutzt wurde.» Mit Abstand am häufigsten betroffen seien jedoch ganz klar Frauen im Sexgewerbe.
Ukraine-Krieg kein Treiber
Als die ersten Ukrainerinnen ankamen, war der mediale Wirbel um angebliche Menschenhändler gross. Quasi direkt an den Ankunftsbahnhöfen sollen sie Frauen abgepasst haben, um ihnen Hilfe anzubieten und sie schliesslich in die Prostitution zu führen.
Fast 8 Monate später hat sich das nicht bestätigt. Einzelfälle könne man zwar nicht ausschliessen, sagt Doro Winkler, doch: «Die Fluchtbewegung aus der Ukraine war gut organisiert und die Personen konnten legal einreisen. Zudem waren die Personen hier willkommen und erhielten den Status S, eine Aufenthaltsbewilligung.»
Auch von Seiten der Kantonspolizei gibt es keine Hinweise darauf, laut Hanspeter Krüsi ist diesbezüglich keine einzige Anzeige eingegangen.
Nur ist das ja das grosse Problem bei der Bekämpfung des Menschenhandels: Nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer halten sich lange fern von den Behörden, die ihnen helfen könnten. Aus Angst, auch noch die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben zu verlieren.