«Wir sind enttäuscht»

10.08.2017, 12:31 Uhr
· Online seit 10.08.2017, 11:43 Uhr
Die Velowerkstatt beim Güterbahnhof in St.Gallen muss um seine Existenz bangen. Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde des Betriebs keine aufschiebende Wirkung zukommen lassen. Der Leiter der Werkstatt gibt sich im Interview enttäuscht.
Sandro Zulian
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Der Kanton St.Gallen hat der Projekt-Werkstatt Mitte Juli die Unterstützung ersatzlos gestrichen (FM1Today berichtete). Daraufhin hat die Werkstatt vor dem Verwaltungsgericht St.Gallen Beschwerde eingereicht. Dieser Beschwerde ist nun keine aufschiebende Wirkung zugekommen. Die Velo-Werkstatt war 23 Jahre lang die Anlaufstelle Nummer eins für Arbeitslose. Unzählige fanden über die Werkstatt eine Chance, wieder ins Berufsleben zu finden. Hansueli Salzmann, Leiter der Projekt-Werkstatt, ist enttäuscht über den Entscheid des Gerichts.

Hansueli Salzmann, das Gericht hat nicht in eurem Sinn entschieden, was sagst du dazu?

Wir sind enttäuscht. Wir überlegen uns jetzt gerade, ob es Sinn ergibt, den Rekurs noch weiter laufen zu lassen. Vielleicht wäre es besser, wir zögen den Rekurs zurück und setzten unsere Energie in die Zusammenarbeit mit Partnern, die auch schätzen, was wir tun und bei denen nicht nur der wirtschaftliche Faktor im Vordergrund steht. Dahingehend sind wir mit unserem Rechtsvertreter in Kontakt.

Ihr fühlt euch also vom Kanton nicht geschätzt?

Der wirtschaftliche Faktor überwiegt beim Kanton. Wenn der Leistungsausweis und die Qualität, die wir in den letzten 23 Jahren erbracht haben, nichts zählt, dann finde ich, dass man hier nicht von einer Wertschätzung des Kantons sprechen kann. Ich finde es einfach schade und bedauere es sehr, dass Erwerbslose, die künftig in St.Gallen ein Einsatzprogramm absolvieren, einen qualitativ schlechteren Arbeitsplatz haben müssen.  Ich möchte dem Kanton St.Gallen ans Herz legen, dass er in diesem Bereich die Prioritäten vielleicht anders setzen sollte.

Seid ihr wütend?

Wütend würde ich nicht sagen. Es geht uns auch nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Es geht uns darum, Leuten zu helfen, die Schwierigkeiten haben, im Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden. Es geht uns darum, diesen Menschen ein bestmögliches Angebot zu bieten. Ob der Kanton dieses Angebot bei uns oder bei jemand anderem einkaufen will, steht nicht im Vordergrund. 

Habt ihr schon eine neue Anlaufstelle?

Es ist noch ein wenig früh, um konkret zu werden. Erst müssen wir mit möglichen Geschäftspartnern zusammensitzen und eine Auslegeordnung machen. Grundsätzlich gibt es in vielen Gebieten Menschen, die die Unterstützung in Anspruch nehmen und mit uns zusammenarbeiten könnten. Ich denke dabei an Flüchtlinge oder Menschen, die über die Sozialversicherungsanstalt (SVA) Integrationsmassnahmen in Anspruch nehmen können. Auch in Gemeinden gibt es Menschen, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen und froh wären, mit uns zusammenzuarbeiten.

Habt ihr Angst, dass es euch bald nicht mehr gibt?

Ja. Diese Angst ist da und auch berechtigt. Das Fundament, das der Kanton bis jetzt war, ist weggebrochen. Darauf können wir nicht mehr zählen. Hinzu kommt, dass die Zeit langsam knapp wird. Jetzt ist August, bis Ende Jahr muss die Finanzierung stehen, damit wir weitermachen können.

Wie ist die Stimmung bei euch?

Wir schwanken zwischen hoch und tief. Bei uns ist die Verunsicherung sehr gross. Schliesslich geht es um die berufliche Zukunft unser aller. Jeder bei uns in der Werkstatt überlegt sich, ob er im Januar noch einen Job hat. Auf der anderen Seite spüre ich, dass ein Wille und auch ein Widerstand da ist. Ein Widerstand, bei dem die Leuten sagen: «Denen zeigen wir es» und sie dran bleiben und andere Lösungen suchen. Es ist quasi Aufbruchstimmung und Resignation zugleich. Völlig niedergeschlagen sind wir auf jeden Fall nicht.

veröffentlicht: 10. August 2017 11:43
aktualisiert: 10. August 2017 12:31
Quelle: saz

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