Saftkur: Wir sind durch die Hölle gegangen!

10.01.2017, 14:05 Uhr
· Online seit 09.01.2017, 12:31 Uhr
Wir haben es getan. Wir sind Helden. Eine Woche lang haben wir ganz auf feste Nahrung verzichtet und stattdessen Zitronensaft in uns hinein gesogen. Eine Saftkur, welche einer Tortur nahe kommt. Sie stösst nicht nur sauer auf, sondern schlägt auch auf das Gemüt. Warum wir am vierten Tag fast zusammen geklappt sind und warum uns der Chef fuchsteufelswild machte, lest ihr im Erfahrungsbericht.
Lara Abderhalden
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«Bisch enart birreweich?», fragten sie alle, als sie hörten, was wir vorhaben. Warum tut ihr das? Was soll das bringen? Glaubt ihr wirklich, dass ihr euch danach besser fühlt?

Ja, so eine Saftkur sorgt für Gesprächsstoff. Jeder muss es kommentieren und dies meist negativ. Niemand kann verstehen, warum sich jemand sowas antut. Wir anfänglich auch nicht so ganz. Neues Jahr, neues Körpergefühl dachten wir uns. Wir stürzten uns voll rein - von hundert auf null. Wir verzichteten eine Woche lang komplett auf Essen. Das Einzige, was wir zu uns nehmen durften, war Zitronensaft mit Ahornsirup und Cayenne-Pfeffer. Geil.

Rezept:

300 ml Wasser (kalt/lauwarm)
2 EL Zitronensaft
2 EL Ahornsirup

1/10 TL Cayennepfeffer

Alles vermischen und davon rund sechs bis 12 Gläser trinken. Juhui!

Teilnehmer aus der Redaktion: Laurien, Fabienne, Celia, Lara und Yanick von der Technik (wobei sich Yanick eine Biotta-Kur angetan hat).

Aufbauphase

Alles begann am vergangenen Montag mit dem Aufbautag. Vegan, hiess es, soll man sich ernähren. Das ist noch nicht schlimm. Gibt ja feines Gemüse: Broccoli, Karotten oder Lauch. Allerdings gilt schon ab Montag: Kaffee verboten. Sag das mal einem Kaffee-Junkie! An einem Morgen! Terrible! Dennoch fanden wir diesen Aufbautag noch einigermassen erträglich. Einzig die Resten des Neujahrsschmauses im Kühlschrank machten zu schaffen. Einen grossen Bogen machen und stattdessen an einem gekochten Pilz nuckeln, lautete die Devise.

Ach, der Abend war übrigens sehr verschissen: Wir mussten mit einem Abführtee den Darm entleeren.

Tag 1 - Let the show begin

Ist nicht das erste, woran man jeden morgen denkt, Kaffee? Oder ein Müsli? Oder ein feines warmes «Schoggibrötli»? So steht man am ersten Tag auf: mit Hunger. Sehr viel Hunger. Automatisch öffnet man die Kühlschranktür und es fühlt sich an, als stehe man im Schlaraffenland. Man greift aber nur zur Zitrone und bereitet sich das Essen für den ganzen Tag vor: Zitronensaft.

Und so fühlt sich dieser Tag auch an: Es ist, als wäre der Dienstag eine Zitrone, in die man immer wieder hinein beissen muss und die einem immer wieder aufs Neue so richtig durchschüttelt. Ein Graus. Ein Horrortag mit ganz viel Kopfweh. Gegen Abend wird es aber noch schlimmer: Mit Hunger ins Bett ist fast wie betrunken ins Nest: Alles dreht sich - in diesem Fall um Essen.

Tag 2 - «Figget oi»

In der Nacht träumt man von fetten Burgern, von einer Praline, die man heimlich genascht hat, von einem heissen Kaffee mit feinem Schaum. Wenn der Wecker klingelt, ist man einerseits erleichtert, dass alles nur ein Traum war, andererseits frustriert, weil noch so lange auf alle Köstlichkeiten verzichtet werden muss. Es ist, als hätte man einen Maulkorb gekriegt. Man fühlt sich wie eine aggressive Bulldogge, die sich von der Leine reissen und in etwas beissen will.

Wut, das ist eines der Grundgefühle an diesem Tag. Man ist im «Anpiss»-Modus. Jeder, der einem zu Nahe kommt, wird angefaucht. Jedem, der etwas von einem will, wendet man seinen abgespeckten Arsch zu. Befriedigung sucht man im Shoppen. Je mehr Unterwäsche im Korb, desto mehr Schokoladenkekse im Magen, so fühlt es sich auf jeden Fall an.

Am Abend schaut man dem Mitbewohner, der Familie oder Freunden beim Kochen, beim gemächlichen essen Käse überbackener Penne zu und denkt «figget oi», sagt aber lächelnd «en Guete», nuckelt am Zitronensaft-Ahornsirup-Cayenne-Gemisch und könnte kotzen. Toller Tag! Moll, das war wirklich eine gute Idee, diese Kur! Um sechs Uhr geht man schlafen, weil der Abend und das Fernsehen ohne Essen sowieso keinen Spass machen.

Tag 3 - Die Pfunde purzeln

Man hat sich nun an den Fakt gewöhnt, dass es heute keinen Kaffee gibt, auch das Gefühl, eine Waschmaschine im Bauch zu haben, kennt man. Mit Hunger aufzustehen ist heute nicht mehr so schlimm. Im Gegenteil: Vor dem Spiegel streift man das Nachthemd vom Körper und stellt lächelnd fest, dass sich die Wampe in einen Victoria's-Secret-Model-Bauch verwandelt hat (oder zumindest fast), der Schwimmgürtel, der zwischen Brüste und Po klemmte, gleicht jetzt mehr einem Hula-Hop-Ring und plötzlich zeigen sich an den Wangen Knochen. Krass.

Frohen Mutes packt man seine eineinhalb Liter Zitronensaft und hüpft pfeifend zur Arbeit. Doch die Fröhlichkeit ist schnell verflogen. Der Chef hat Gipfeli mitgebracht. Das tut er sonst nie. Sie sind noch warm und riechen wie das Paradies. Man steckt seinen Kopf in die Gipfelitüte und inhaliert eine halbe Minute intensiv. Und schon kippt die Stimmung von «Himmel-hoch-jauchzend» zu «zu-Tode-betrübt». Statt eines grossen Grinsens prangert ein grosser «Lätsch» unter den neu gewonnenen Wangenknochen.

Dennoch hat man an diesem Tag das «alles oder nichts»-Gefühl. Jetzt abzubrechen, käme einem Todesurteil gleich. Man steckt quasi schon so tief in der Scheisse, jetzt kann man sie auch gleich essen. Mit einem bittersüssen Geschmack im Mund geht man schlafen und freut sich auf nichts. Wie sinnlos das Leben ohne Essen doch ist.

Tag 4 - Heisshunger und Hass

Schon das Aufstehen ist scheisse. Kaum aus dem Bett gesprungen, hockt man bereits wieder auf dem Zimmerboden, weil einem plötzlich schwarz vor Augen wird. Dieses Gefühl bleibt. Jedes Erheben endet schwarz. Hinzu kommen Zuckungen im linken Auge. Muss wohl eine Mangelerscheinung sein. Schon hört man die Mutter innerlich rufen: «Isch doch nöd gsund so öppis!» Nein, bestimmt nicht. Das ist eine Tortur. Eine Qual. Niemand sollte diesen Horror erleben müssen. Dennoch rafft man sich auf mit Sätzen wie: «Das tut dem Körper gut. Kinder in Afrika haben gar kein Essen. Bald passe ich wieder in meine Lieblingsjeans.» Man ext die Zitronen-Scheisse und geht los.

Kaum im Geschäft angekommen, würde man am liebsten wieder umkehren und den ganzen Tag in das Kissen weinen. Dreikönigstag! In der Redaktion wimmelt es von frisch gebackenen, herrlich duftenden, mit Zucker übergossenen Küchlein. Hunderte, wenn nicht Tausende! Vielleicht verdoppeln sie sich auch unter unserem weinerlichen Blick. Immer wieder bleibt man vor einem Kuchen stehen, riecht, riecht nochmal und denkt daran, die ganze Übung abzubrechen. Sorry, aber Dreikönigstag ist nur einmal im Jahr, einmal! Die ersten nimmt's: Fabienne greift statt zum Königskuchen zu einem Kaffee, Celia kann dem selbst gebackenen Königskuchen ihrer Mutter nicht mehr länger widerstehen und Laurien beisst in einen gekochten Apfel. Einzig Lara und Yanick bleiben stark.

Tag 5 - Stinksauer

Es ist einfach nur noch der Hass. Der pure Hass. Eigentlich könnte man genausogut nicht existieren. Der Alltag ergibt plötzlich keinen Sinn mehr. Obwohl man kurz vor dem Ende der Operation steht, fühlt man sich nicht gut. Ausgequetscht. Alles, woran man den ganzen Tag denkt, ist Essen. Alles dreht sich nur noch um das Essen. Konversationen, die nicht vom Essen handeln, sind gar nicht möglich. Man quält sich mit Online-Video-Rezepten, schaut der Mutter beim Kochen zu, geht in einen Supermarkt und erstellt Listen mit Dingen, die man in der kommenden Woche essen will.

Die Lebensqualität ist gleich Null. Die Wut ist das einzige, was im Bauch kocht. Am liebsten würde man mit einer Wasserpistole voll Zitronensaft durch die Stadt laufen und jeden damit bespritzen. Den Zitronensaft rührt man erst gar nicht mehr an. Der Geschmack ist kaum noch zu ertragen. Der Tag tröpfelt so dahin, wie eine ausgequetschte Zitrusfrucht. Nach gefühlten zehn Jahren ist es Abend und man darf endlich ins Bett: Es ist das Einzige, wonach man sich den ganzen Tag sehnte.

Tag 6 - Das Ende

Endlich! Endlich! Es ist kaum in Worte zu fassen, was eine einfache Bouillon in meinem Fall (Lara) oder ein Butterzwieback in Yanicks Fall für Gefühle auslösen können. Es ist, als wäre man frisch verliebt. Verliebt in eine Knorr-Bouillon-Suppe. Am liebsten würde man vor lauter Liebe die ganze Brühe auf einmal verzehren, doch man befriedigt sich selbst mit langsamen, zärtlichen Schlücken. Die Bouillon fühlt sich an wie Gold, das verflüssigt den Rachen hinunter läuft. Noch nie, noch nie, hat sich essen so gut angefühlt.

Jedes einzelne Kräuterstückli wird vom Tassenboden gekratzt, schliesslich ist dies die erste «feste» Nahrung, die man seit Tagen zu sich nehmen darf. Doch genauso schnell und intensiv wie wir in Ekstase gerieten, ist die ganze Glückseligkeit wieder vorbei. Mit Entsetzen und extremer Frustration stellt man fest, dass dies jetzt das Einzige war, das man bis zum Abend zu sich nehmen darf. Das war es? Wirklich? Am liebsten würde man den ganzen Kühlschrank in sich hinein leeren, aber nein: Nach der Kur braucht es zuerst die «Aufbauphase». Sich langsam wieder mit der Nahrung anfreunden, heisst es in etlichen Online-Foren. Man darf den Magen nicht überfordern.

Und meine Geduld auch nicht. Während bei Yannick der Aufbau einen Tag geht, muss ich noch drei weitere durchhalten. Heute und morgen noch darf nur Gemüse oder Suppe in meinen Magen fliessen. Immerhin. Ab kommendem Mittwoch freue ich mich wieder auf Kaffee, Bier und fettige Pommes Frites. Endlich ist der «Seich» vorbei. Endlich werden das Leben und ich selbst wieder ertragbar.

Fazit

Laurien: Es ist eine gute Challenge, seinen Körper zu zwingen, etwas anderes zu machen als sonst. Ich fühle mich nicht sonderlich besser, aber man lebt bewusster und versucht, sich in Zukunft gesünder zu ernähren.

Celia: So eine Kur ist nichts für schwache Nerven. Die meisten Menschen um einen herum möchten dich überreden, etwas zu essen oder zu trinken. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nächstes Mal keine Zitronensaft-, sondern eine andere Kur durchführen würde. Den Saft konnte ich nach drei Tagen nicht mehr riechen! Ich habe nach der Kur viel weniger Lust auf Kaffee und esse bewusster.

Fabienne: Man wird «hässig,» man fühlt sich schlecht, meine Haut wurde eklig, es war scheisse, ich mach das nicht nochmal. Ich hab jetzt überhaupt keine Lust, mich gesund zu ernähren, sondern viel eher, alles in mich reinzuschaufeln, was geht. Daher hat’s wohl nichts gebracht.

Yanick: Naja, ob die Darmentschlackung wirklich etwas gebracht hat, kann ich nicht sagen. Aber zu erfahren, wie toll Essen sein kann, ist schon recht krass! Das merkt man wirklich erst, wenn man eine Woche auf richtiges Essen verzichtet hat. Da wird Zwieback mit Butter und Honig zum Festmahl. 

Lara: Es war «berreweich», «en Scheiss» und es macht mich einfach nur «hässig». Dennoch fand ich es spannend, zu sehen, wie viel sich im Leben um das Essen dreht und wie fest sich das auf die Lebensqualität auswirkt.

 

 

veröffentlicht: 9. Januar 2017 12:31
aktualisiert: 10. Januar 2017 14:05

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