Schritte im Geisterbad von Appenzell

08.12.2016, 11:21 Uhr
· Online seit 05.12.2016, 06:08 Uhr
In unserem speziellen Adventskalender, bei dem wir Türen öffnen, hinter die man eigentlich nicht – oder nicht mehr – schauen kann, blicken wir heute ins Hallenbad Appenzell. Wo Generationen von Schulklassen schwimmen gelernt haben, rostet heute alles vor sich hin. Das ehemalige Bad wurde vor zwei Jahren aus Sicherheitsgründen geschlossen und danach ausgeschlachtet.
Christoph Fust
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Pius Koller öffnet die Tür zum Kellergeschoss des ehemaligen Hallenbads. Zwölf Jahre lang war er hier Bademeister, jetzt arbeitet er fürs Bezirksbauamt. Heute gibt er uns eine Führung durch den verlassensten Ort Appenzells. Wir folgen ihm in den obersten Stock, dem früheren Wellnessbereich.

Wellness? Wohl eher «Hell of a Mess»

Zwei Jahre nach der Schliessung würde sich hier kein Gast mehr wohl fühlen: Der Plättchenboden ist dreckig, Armaturen sind herausgerissen, Kloschüsseln fehlen, Türen wurden abmontiert. Für einen symbolischen Beitrag konnte die Bevölkerung nach der Schliessung praktisch alle Gegenstände im Hallenbad kaufen. Und die Leute haben zugeschlagen. Auf der Dachterrasse fehlen die Bretter der Wandverkleidung. «Jemand hat sogar eine Glastür für sein Ferienhaus im Tessin mitgenommen», sagt Pius Koller.

Nebst der Aussensauna ist einzig noch das Solarium übriggeblieben. Der ganze Stock ist bis auf die Grundmauern ausgeschlachtet. Der Wellnessbereich war nicht nur bei den Appenzellern beliebt, sagt Pius Koller. «Die Leute sind von weither gekommen wegen der gemütlichen Atmosphäre. Ausserdem hatte man von der Dachterrasse einen wunderschönen Blick auf den Alpstein.» Doch heute ist der Himmel wolkenverhangen, die Terrasse leer, der Wellnessbereich tot.

Bei einer kleinen Gruppe von Leuten ist der ehemalige Wellnessbereich aber auch heute noch überaus beliebt: Die Feuerwehr benutzt die alten Räume für ihre Übungen. «Etwa neunmal im Jahr sind sie hier und simulieren ihre Szenarien», sagt Koller. Das Resultat: Ganze Wände nur noch schwarz, am Boden liegt Asche.

Schuhabdrücke im Schwimmbecken

Wir gehen einen Stock tiefer in den Haupttrakt des Bads. Auf dem Weg herausgerissene Deckenplatten, hervorstehende Leitungsrohre, sogar den Feuerwehrschlauch hat jemand abgeschraubt. Unten angekommen erwarten uns die zwei leeren Bassins. Das Wasser ist längst abgelassen, der Boden mit Staub bedeckt. Das meisten Keramikplatten des Wandgemäldes sind herausgerissen. Eine der Platten hängt zuhause bei Pius Koller. «Die habe ich zum Abschied eingerahmt geschenkt bekommen», sagt er zufrieden.

So menschenverlassen auch dieser Teil aussieht, ab und zu füllt sich das Bad wieder mit Leben. «Eine Blasmusikgruppe hat das leere Hauptbassin als Kulisse für ein Fotoshooting benutzt», erzählt Pius Koller. Auch Aufnahmen mit Models habe es hier seit der Schliessung schon gegeben. Schuhabdrücke im Staub zeugen davon.

Es geht weiter zu den Duschen. Auch hier fehlen die meisten WC-Schüsseln, Föhne und Armaturen. Sogar Schachtgitter im Boden haben Interessierte mitgenommen. Die Stimmung ist wie nach einer Zombieattacke. Auch in der Garderobe herrscht Weltuntergangsstimmung: herausgerissene Kastentüren, Scherben, eine ganze Reihe Garderobenkästen fehlt. «Die wurde in die Olma-Hallen nach St.Gallen gezügelt und steht nun dort den Mitarbeitern zur Verfügung.»

Wir gehen zum Eingangsbereich des Hallenbads, vorbei an der vertrockneten Topfpflanze. Sie trägt einige letzte Blätter, der Rest liegt als Laub am Boden. Hier ist die Zeit stehenglieben.

Was bleibt, sind Kaugummis

Jetzt wird es gespenstisch, wir gehen in den Keller. Dunkle Gänge durchziehen das Untergeschoss, über uns die leeren Schwimmbecken. Durch die zahllosen Rohre fliesst kein Wasser mehr, die Pumpen sind verstummt. Auf dieser Etage wurde das Hallenbad wohl am wenigsten verändert. Fast alle Anlagen sind noch vorhanden. Wir dringen tief in die alten Lagerräume vor. Es riecht nach abgestandenem Wasser. Kalk dringt durch die Mauern und hat dicke Krusten gebildet. Wir gehen weiter und stehen plötzlich vor einer alten Feuerwehrpumpe. «Die hat die Feuerwehr hier eingelagert, weil sie keinen Platz mehr dafür hatte», sagt Koller.

Wir stossen auf einen Filter der Wasseranlage. Haarknäuel, Kaugummis und Pflästerchen wurden hier angeschwemmt. Putzen wird das niemand mehr. Das Hallenbad soll abgerissen werden und bis 2021 durch einen Neubau ersetzt werden (gerade heute Montag wird der Rahmenkredit dazu im Grossen Rat AI diskutiert). Bis dahin wird Pius Koller wohl regelmässig die über 40jährigen Gemäuer kontrollieren. Damit hier niemand unbefugt übernachtet oder randaliert.

Wir lassen den Keller hinter uns und die Rohre, die sich irgendwo im Dunklen verlieren. Plötzlich treten wir in eine Art Rumpelkammer. Hier steht alles, was die Leute nicht kaufen wollte: Stühle, Tische, aufgerollte Bahntrennleinen aus Plastik und anderer Gerümpel. Trotz der Sachen, die zurückgeblieben sind, schätzt Pius Koller das Interesse der Bevölkerung am Hallenbad immer noch gross ein: «Ich denke, wenn ich regelmässig Führungen machen würden, kämen die Leute.»

Doch für heute ist der Rundgang beendet. Pius Koller wirft einen letzten Kontrollblick in den Keller und schliesst die Tür zum Geisterbad von Appenzell wieder zu. Und ganz schwach ist nochmals ein letztes Plätschern zu hören...

Gibt es verlassene Gebäude, in die ihr gerne einmal reinschauen würdet? Oder Türen, die eigentlich verschlossen sind, hinter die ihr gerne mal sehen möchtet? Wir sind offen für eure Vorschläge. Schickt sie uns an redaktion@fm1today.ch.

FM1Today

veröffentlicht: 5. Dezember 2016 06:08
aktualisiert: 8. Dezember 2016 11:21

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