Märkte

2020 war ein Börsenjahr der Extreme – mit vielen Gewinnern und Verlierern

· Online seit 30.12.2020, 05:00 Uhr
Die Investoren schwankten zwischen Corona- und Torschlusspanik. Die Bewältigung der Pandemie wird auch 2021 prägen.
Daniel Zulauf
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Das zurückliegende Börsenjahr hat selbst die wildesten Phantasien der Investorengemeinde übertroffen. Vom Allzeithoch im Februar über den grossen Absturz bis Ende März und zurück zu den alten Höchstständen: Zwölf Jahre nach der Finanzkrise unterzieht das Coronavirus das globale Wirtschaftssystem erneut einem extremen Stresstest.

Wie schnell sich das gefährliche Virus ausbreiten kann, wäre eigentlich schon im Januar deutlich zu erkennen gewesen. Doch die Finanzmärkte reagierten erst Wochen später. Die Anleger interessierten sich zunächst eben mehr für die Früchte an den Aktienbörsen, die dort gerade wieder so richtig zu gedeihen anfingen.

2019 war es den Notenbanken mit vereinten Kräften gerade erst gelungen, eine globale Rezession - die erste seit 2009 - abzuwenden. Zu diesem Zweck einigten sie sich darauf, die Periode des zinsfreien Geldes auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Die Aktienmärkte verdankten das Versprechen Anfang 2020 mit neuen Höchstständen.

Staatshilfen in Billionenhöhe

Doch die globale Ausbreitung des Virus bereitete der Feier ein abruptes Ende. In der Pandemie übernahmen die Regierungen die Führung beim Krisenmanagement. Astronomische Summen in zweistelliger Billionenhöhe wurden seit März weltweit direkt oder indirekt an Unternehmen und private Haushalte verteilt und die Wirtschaft vor dem Kollaps bewahrt.

Allerdings sind dadurch die Schuldenquoten weiter gestiegen. Während die Staatsverschuldung der Schweiz auch nach den grossen Wirtschaftsbeihilfen im Pandemiejahr kaum über 35 Prozent des Bruttoinlandproduktes steigen dürfte, ist die Quote beispielsweise in den USA auf rund 130 Prozent hochgeschnellt. Und das globale Schuldenmachen geht weiter. Immerhin sind auch grosse Schuldenberge nur ein kleines Problem, solange sie zinslos sind. Im Wissen darum sorgen die Notenbanken dafür, dass dies vorerst so bleibt.

Radikale Selektion nach Gewinnern und Verlierern

Dies ist der Hintergrund, vor dem sich die Aktienmärkte ab Ende März schnell und gründlich erholen konnten. Doch sie taten auch diesmal, was sie in Krisenzeiten immer tun: Sie sortieren die Welt radikal nach Gewinnern und Verlierern. Solide Bilanzen, konjunkturresistente Geschäftsmodelle, ein stabiles Umfeld – all das, was Schweizer Firmen und allen voran die Aushängeschilder Novartis, Roche und Nestlé in unsicheren Zeiten zum beliebten Hafen für internationale Investoren macht, verschaffte dem hiesigen Aktienmarkt nur kurzfristig einen kleinen Vorteil - im März fielen die Kurse in der Schweiz etwas weniger tief als an anderen Börsen mit offensiveren Profilen.

Umso besser setzten sich ausländische Börsen in der Erholung in Szene. Nirgends war das so deutlich zu sehen wie an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq, wo die meisten Gewinner der aktuellen Krise anzutreffen sind. Die 100 wertvollsten Unternehmen an der Nasdaq steigerten ihren Wert 2020 um durchschnittlich fast 50 Prozent. In der vorderen Hälfte der Kursrangliste sind wenig überraschend Aktien wie Netflix, Amazon oder Apple zu finden. Deren Geschäftsmodelle (audiovisuelle Streaming-Plattform, mobile Kommunikation, Online-Handel) passen geradezu perfekt zu dem, was in diesen Zeiten gerade nachgefragt wird.

Nebst Firmen mit einem zeitgemässen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für den täglichen Konsum brachte das Börsenjahr aber auch Unternehmen mit einer starken Ausrichtung auf wichtige ökologische Herausforderungen unserer Zeit einen Riesenschritt vorwärts. Die Aktien des US-Elektroautobauers Tesla haben sich 2020 um fast 700 Prozent verteuert. Der Konzern ist mit einer Börsenkapitalisierung von über 600 Milliarden Dollar mehr als doppelt so viel Wert wie alle europäischen Automobilhersteller zusammen.

Ein Schweizer Börsenstern namens «Zur Rose»

In der Schweiz überstrahlten die Aktien der Online-Apotheke «Zur Rose» mit einem Kursgewinn von über 160 Prozent die robusten Basler Pharmakonzerne bei weitem. Ähnliches gilt auch für die Aktien kleinerer Medikamentenhersteller wie Bachem und Lonza. Zu den Gewinnern einer neuen grünen Wirtschaft zählten 2020 die Titel des Verbundwerkstoffherstellers Gurit, dessen Aktien über 60 Prozent zulegten. Gurit-Kunststoffe finden im grossen Stil Anwendung in der Herstellung von Rotorblättern für Windenergie-Anlagen.

Selbst mit Obligationen gab es 2020 etwas zu verdienen. Dies verdanken die Anleger der verstärkten Tiefzinspolitik der Notenbanken. Allerdings sind auch dieser Politik Grenzen gesetzt. In den USA hält die Notenbank bereits mehr als ein Fünftel aller ausstehenden Staatsanleihen in ihren Büchern. In Japan sind es fast 50 Prozent, in Grossbritannien gegen 40 Prozent.

Manche Analytiker glauben, dass das kommende Jahr eine Wende bringen könnte: Sollten die Impfstoffe und alle anderen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mehr Wirkung entfalten als bislang erwartet, könnte die aktuelle Liquiditätsflut doch noch zu einem Anstieg der Preise und der Inflation führen – ein Szenario, das die meisten Akteure längst abgeschrieben haben. In diesem Fall könnten sich die Notenbanken gezwungen sehen, ihre auf den St. Nimmerleinstag verschobene Normalisierung der Zinslandschaft doch noch nachzuholen. Zinserhöhungen sind in aller Regel Gift für Aktienanlagen. Doch das einzige, was sich für 2021 mit Sicherheit voraussagen lässt ist: Die Pandemie wird Märkte noch längere Zeit in Atem halten.

veröffentlicht: 30. Dezember 2020 05:00
aktualisiert: 30. Dezember 2020 05:00
Quelle: CH Media

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