Suchthilfe

Alkohol, Drogen, Glücksspiel: Pandemie kann süchtig machen

10.02.2021, 16:19 Uhr
· Online seit 10.02.2021, 15:12 Uhr
Die Corona-Pandemie schafft laut Sucht Schweiz neue Risikogruppen. Menschen, die schon zuvor Mühe gehabt hätten, den Konsum psychoaktiver Substanzen, das Geldspiel oder Online-Aktivitäten zu kontrollieren, seien während der Krise besonders gefährdet. Auch St.Galler Organisationen registrieren einen Anstieg der Suchtfälle.
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In der Pandemie sind nicht nur die Menschen gefährdet, die bereits davor ihr Suchtverhalten kaum kontrollieren konnten. Die Krise schafft laut Sucht Schweiz auch neue Risikogruppen. In der Corona-Pandemie als Ausnahmesituation seien Menschen nämlich ungewohnten und starken Belastungen und Traumata ausgesetzt. Manche von ihnen gebrauchten Alkohol, Drogen oder Medikamente kurzfristig, um sich zu entlasten, warnt Sucht Schweiz in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Bericht «Schweizer Suchtpanorama 2021».

Der Bericht zeigt ausserdem auf, dass ein grosser Teil der täglich Rauchenden den Konsum während und nach dem Shutdown verstärkt hat. Ausserdem habe die Pandemie die Suchtentwicklung im Glücksspiel begünstigt. Rund drei Prozent der Schweizer Bevölkerung spielen exzessiv um Geld.

Drogenkonsum trotz geschlossener Grenzen gleich geblieben

Auch in St.Gallen habe man ein gesteigertes Suchtverhalten registriert, sagt Regine Rust, Geschäftsleiterin der St.Galler Stiftung Suchthilfe. «Es ist vor allem aufgefallen, dass der Drogenkonsum trotz geschlossener Grenzen gleich geblieben ist. St.Gallen gilt als Kokain-Hochburg und auch dort waren die Zahlen im letzten Jahr nicht rückläufig.» Im Bereich der Party-Drogen habe es für eine kurze Zeit einen Rücklauf gegeben. «Aber der Wunsch nach Rausch war unvermindert.»

In den ersten Wochen im 2021 sei ein erneuter Anstieg spürbar. «Viele sind frustriert, weil sie nicht wissen, wie lange das Ganze noch andauern wird. Auch kleine Inseln, wie beispielsweise die Offa oder ein Openair, fallen weg. Das führt zu einer Form der Perspektivlosigkeit», sagt Regine Rust.

Arbeitgeber sollten genau hinschauen

Gemäss Suchthilfe Schweiz sind neben der Allgemeinbevölkerung die Pflegenden in Notfallstationen oder das Personal im Transportwesen oder im Verkauf besonders betroffen. «Das können wir bestätigen», sagt Rust. «Die Belastungen in diesen Bereichen sind immens und es gibt aktuell nicht viele Ventile. Auf den Wunsch runterzukommen, folgt somit oft der Griff zur Substanz.» Um dem entgegenzuwirken, sollten die Arbeitgeber im Moment besonders genau hinschauen.

Missbräuchliches Verhalten ist nicht gleich Sucht

Auch im Bereich der Online-Spiele habe es eine Zunahme gegeben, sagt Rust. «Die Leute suchen sich Abwechslung im Internet. Das können Geldspiele sein aber auch einfach Binge-Watching auf einer Streamingplattform.» Dabei gelte es aber, eine Frage zu beachten: Handelt es sich effektiv um süchtiges Verhalten oder nur um einen Moment, in dem eine Sache exzessiv betrieben wird, da es an Alternativen mangelt. «Wir sprechen von Sucht, wenn jemand über ein Jahr lang ein entsprechendes Verhalten zeigt, obwohl er Alternativen hätte», sagt Rust. Ansonsten spreche man von einem missbräuchlichen Verhalten, welches aber nicht zwangsläufig zu einer Sucht führen müsse. Im Moment würden viele ein solches Verhalten an den Tag legen. «Dort besteht ein Risiko, dass dieses Verhalten schwer wieder abzulegen ist.»

98 Neuanmeldungen für Beratungsgespräche in St.Gallen

Studien zum Konsum von Alkohol in Krisensituationen zeigen laut Sucht Schweiz, dass es zu einem Anstieg des Konsums vor allem bei Personen kommt, deren Trinkverhalten bereits zuvor problematisch war. Neue Risikogruppen kämen im Zuge von Covid-19 mit Menschen hinzu, die einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt seien. Schätzungsweise 250'000 Menschen sind in der Schweiz laut Sucht Schweiz alkoholabhängig.

Auch die Fachorganisation für Alkohol und Suchtfragen Blaues Kreuz St.Gallen und Appenzell hat im letzten Jahr einen Rekord an Beratungsanfragen verzeichnet. 2020 habe es 98 Neuanmeldungen geben, 81 davon waren selbst betroffene Personen, 17 davon deren Angehörige. Im Vergleich: 2019 waren es 76 Neuanmeldungen. Ob dies mit Corona zusammenhänge, sei schwer zu sagen, sagt Vitus Hug, Bereichsleiter Beratung beim Blauen Kreuz. «Schon vor Januar 2020 haben wir mehr Anfragen registriert. Im Laufe des Jahres sind diese noch angestiegen, im November gab es allerdings einen Abbruch.»

Hilfe wird bei Alkohol erst spät in Anspruch genommen

Die Gründe für den Alkoholkonsum seien zweigeteilt: «Ein grosser Motivator ist die die Freude am Feiern und an Festen. Dass man aufgrund von Problemen zur Flasche greift, ist der andere Teil.» Viele hätten wegen des Shutdowns nun auch mehr Zeit zum Trinken. «Viele sagen, dass sie jetzt mehr Wein miteinander trinken, weil andere Bereiche des sozialen Lebens wegfallen. Vorher hat man am Abend vielleicht noch Sport im Verein getrieben oder sich für eine Chorprobe getroffen. Das fällt jetzt weg.»

Zu Beginn des ersten Shutdowns war die Sorge bei Vitus Hug gross, dass dieser zu mehr häuslicher Gewalt in Zusammenhang mit Alkohol führen würde (FM1Today berichtete). «Auf unserer Beratungsstelle hat sich diese Sorge aber nicht bestätigt», sagt Hug heute.

Arbeitslosigkeit könnte zum Problem werden

Auch wenn sich die Auswirkungen der Corona-Krise beim Blauen Kreuz noch nicht stark zeigen, könnte sich dies noch ändern, sagt Vitus Hug. «Im letzten Jahr war die Kündigungswelle in der Schweiz noch nicht so schlimm. Mit dem fortlaufenden Shutdown gibt es nun aber viele Warnsignale dafür. Die Arbeitslosigkeit könnte für suchtanfällige Personen also zum Problem werden.»

Sollte jemand das Gefühl haben, mehr Alkohol zu trinken als sonst, solle man in die Beratung kommen, sagt Vitus Hug. «Trotz Corona-Restriktionen werden diese Gespräche weiterhin angeboten. Man sollte sich besser früh als spät Hilfe holen.» Auch Sucht Schweiz ruft dazu auf, sich in der aktuell Situation Rat zu holen und Hilfe zu beanspruchen, wenn man die Kontrolle über seinen Konsum verloren hat.

(dab/sda)

veröffentlicht: 10. Februar 2021 15:12
aktualisiert: 10. Februar 2021 16:19
Quelle: FM1Today

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