Glutenintoleranz

Allergikerinnen nerven sich über chaotische Regale in Läden

· Online seit 22.11.2022, 14:12 Uhr
Beim Einkaufen in den Grossverteilern vermissen zwei Frauen mit Glutenintoleranz die Übersicht. «Einkaufen ist in Schweizer Grossverteilern sackmühsam», sagt eine von ihnen. Positive Erfahrungen machten die Betroffenen dagegen im Ausland.
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Das Einkaufen gleicht oft einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. «Bei Coop und Migros ist das Angebot der glutenfreien Lebensmittel sehr unübersichtlich», sagt C.G.*, die seit über 30 Jahren an Glutenintoleranz leidet, dem umgangssprachlichen Begriff für Zöliakie. Ständig müsse sie die glutenfreien Produkte im ganzen Laden zusammensuchen. «Für einen Grosseinkauf brauche ich deshalb bis zu einer Stunde Zeit.»

Ganz andere Erfahrungen machte die Aargauerin jedoch in Spanien, wo sie kürzlich ihre Ferien verbrachte. «Im Grossverteiler an der Costa Brava hatte ich plötzlich ein ganzes Regal mit glutenfreien Produkten vor mir: von Brot und Knäckebrot über Mehl bis zu Farmer und Guetsli war alles an einem Ort», berichtet sie begeistert. Nur die glutenfreien Kühl- und Tiefkühlprodukte seien davon noch getrennt gewesen. Positiv überrascht wurde sie darauf auch bei Kurzaufenthalten in Dänemark und Österreich. «Auch dort traf ich in den Supermärkten auf übersichtliche Regale mit glutenfreien Produkten.»

Einkauf in den USA sei praktischer gewesen

Dank der guten Übersicht habe sie zeitsparender einkaufen können, so G. «Ich fragte mich, warum die Grossverteiler in der Schweiz nicht auch extra Regale mit glutenfreien Produkten anbieten.» Bis jetzt habe sie in der Schweiz nur bei Manor extra Regale entdeckt.

A.L.*, seit über zehn Jahren glutenintolerant, stimmt zu. «Einkaufen ist in Schweizer Grossverteilern sackmühsam», sagt L., die im Aargau wohnt und in Basel arbeitet. Praktischer sei der Einkauf in den USA gewesen. «Gab es keine extra Regale mit glutenfreien Produkten, hatte es in den Regalen zumindest grüne Punkte, an denen man sich orientieren konnte», schwärmt sie.

Genuss mit Folgen

Rund ein Prozent der Bevölkerung ist in der Schweiz von Zöliakie betroffen – Tendenz steigend. Das Klebereiweiss namens Gluten führt bei den Betroffenen zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Die Stiftung «aha! Allergiezentrum Schweiz» empfiehlt etwa Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel und alle daraus hergestellten Lebensmittel wie Brot, Gebäck, Teigwaren oder Mehlsaucen strikt zu meiden. Dies ist den beiden Aargauerinnen nicht immer gelungen.

«Ein Schluck Eistee mit glutenhaltigem Inhalt reicht – nach einer halben Stunde erbreche ich, habe Durchfall und zwei Wochen Bauchschmerzen», sagt L. Auch G.s Darm verträgt kein bisschen Klebereiweiss. «Habe ich doch davon erwischt, leide ich unter Durchfall und Müdigkeit, da sich der Darm auch wieder erholen muss.»

«Ich lade meist zu mir ein»

Beim Einkaufen brauche sie auch mehr Zeit, weil sie bei Produkten wie Gewürzen, Schokoladen und Brotaufstrichen die Zutatenliste genau lesen müsse, sagt G. «Dort wechseln die Inhaltsstoffe öfters wieder. Dann kann es in einem Aufstrich plötzlich glutenhaltige Rückstände haben.» Da sie bei vielen Produkten ständig die Inhaltsangaben kontrollieren müssten, sei das Einkaufen schon kompliziert genug, sind sich die beiden Frauen einig.

Auch für Gastgeber wäre mehr Übersicht in den Grossverteilern eine Erleichterung, finden sie. «Für Aussenstehende ist es noch viel schwieriger, im Laden glutenfreie Produkte zu finden. Darum lade ich meist zu mir ein», sagt G. Auch L. weiss sich zu helfen: «Bin ich eingeladen, schickt mir meine Freundin jeweils Fotos von den Produkten im Laden und fragt, ob sie diese verwenden könne.»

IG sei mit Detailhändlern immer wieder im Austausch

Tina Toggenburger, Präsidentin der IG Zöliakie, bestätigt, dass es Zöliakiebetroffene gebe, die sich glutenfreie Regale in den Grossverteilern wünschten. «Diesbezüglich sind wir auch immer wieder mit dem Detailhandel im Austausch.»

Die Präsidentin der IG Zöliakie kann aber auch nachvollziehen, dass separate Regale nicht im Interesse der Läden sind. «Da mittlerweile ziemlich viele unterschiedliche glutenfreie Produkte im Sortiment der Detailhändler gelistet sind und der Handel darauf angewiesen ist, dass diese Produkte nicht ausschliesslich von Zöliakiebetroffenen gekauft werden», sagt Tina Toggenburger.

«Zöliakiebetroffene fühlen sich häufig ausgegrenzt»

Wichtig erscheine der IG eine klare Kennzeichnung an den Regalen, so Toggenburger. Etwa die Fähnchen, mit denen Detailhändler vor einigen Jahren die glutenfreien Produkte gekennzeichnet hätten, seien sowohl für Betroffene als auch Leute, die für solche eingekauft hätten, eine grosse Hilfe gewesen.

«Zöliakiebetroffene fühlen sich häufig ausgegrenzt», sagt Toggenburger. Der einfache Einkauf, bei dem die Produkte rasch gefunden werden könnten, wäre ihrer Meinung nach eine grosse Erleichterung für die Betroffenen und ihre Angehörigen, «Dies könnte dazu beitragen, dass sich Zöliakiebetroffene weniger als Sonderfall fühlen.»

Anpassungen bei Migros und Coop sind möglich

Die Grossverteiler zeigen sich offen für Anpassungen. Die Migros nehme die Bedürfnisse der Allergiker ernst und wolle ihnen und all ihren Konsumentinnen und Konsumenten eine gute Orientierung im Laden und am Regal bieten, sagt Petra Juric, Praktikantin der Medienstelle bei Migros. «Sollten unsere Umfragen und Kundentests aufzeigen, dass das Bedürfnis sich klar in Richtung Blockregale zu entwickeln scheint, werden wir eine Anpassung wieder prüfen.» Die sogenannte Block-Bildung am Regal für glutenfreie Produkte sei in der Vergangenheit mehrfach getestet worden und habe sich nicht bewährt.

Ähnlich reagiert Coop auf Anfrage. «Die Produktpräsentation in den Verkaufsstellen wird laufend geprüft und gegebenenfalls optimiert», sagt Mediensprecher Caspar Frey. In ihren Verkaufsstellen verwendeten sie Regalaufstecker mit dem Hinweis zur Marke «Free From». «Die Verpackungen dieser Marke sind auffällig gestaltet und somit leicht erkennbar.»

*Name der Redaktion bekannt.

veröffentlicht: 22. November 2022 14:12
aktualisiert: 22. November 2022 14:12
Quelle: Today-Zentralredaktion

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