Corona-Leaks

Als echter Staatsmann würde Alain Berset zurücktreten

23.01.2023, 09:45 Uhr
· Online seit 22.01.2023, 17:07 Uhr
Der nach zahlreichen Affären angezählte Innenminister würde mit einem Rücktritt seiner Partei und dem Gesamtbundesrat einen Gefallen tun, schreibt Bundeshaus-Korrespondent Matthias Steimer.
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Ja, Bundesrat Berset hat während der Corona-Krise einen hervorragenden Job gemacht. Mit seinem Kommunikationstalent und seinem überzeugenden Auftritt – selbst wenn er einen Bundesratsentscheid contre coeur zu verkünden hatte – trug er dazu bei, dass die Schweiz die Pandemie gut gemeistert hat.

Zeitpunkt verpasst

Letztes Jahr, nach überstandener Krise, hätte er die Gelegenheit gehabt, als gemäss Umfragen überaus beliebter Bundesrat in Ehren den Hut zu nehmen, auf dem Höhepunkt seiner Karriere zurückzutreten, nach elf Jahren im Amt.

Aber der ehemalige Marathonläufer hatte noch nicht genug, wollte mehr, wollte noch einmal Bundespräsident werden. Ein weiteres Jahr im Scheinwerferlicht lasse er sich nicht nehmen, hiess es im Bundeshaus.

Alain Berset steht schon lange unter Druck

National- und Ständerat wählten Alain Berset im Dezember mit einem denkbar schlechten Ergebnis zum Bundespräsidenten. Ausdruck diverser Animositäten, vor allem auch die Quittung für zahlreiche Affären: Der Erpressungsversuch einer Geliebten, die Verhinderung einer Handyantenne in der Nähe seines Wohnhauses, der französische Luftwaffeneinsatz gegen den Hobbypiloten Berset.

Wenngleich immer ein gewisser Zusammenhang mit seinem Bundesratsamt bestand, so spielten diese Geschichten doch eher in seinem Privatleben.

EDI hat Kollegialitätsprinzip untergraben

Dieses Mal ist es anders. Sein damaliger Kommunikationschef unterhielt sich laut Berichten von CH Media regelmässig «vertraulich» mit Marc Walder, CEO des reichweitenstarken Ringier-Verlags, über geplante Corona-Massnahmen – vor entscheidenden Bundesratssitzungen. Damit wurde das im Bundesrat immanent wichtige Kollegialitätsprinzip durch das Innendepartement EDI auf grobe Weise untergraben, stellen Parlamentarierinnen und Parlamentarier quer durch die Parteienlandschaft fest.

Dass der EDI-Vorsteher Alain Berset, der die Verantwortung trägt, nichts davon gewusst haben soll, mag ihm kaum jemand glauben. Bersets Kommunikationschef war sein engster Vertrauter im Departement, er bestellte Marc Walder «freundliche Grüsse auch von Bundesrat Berset» und organisierte mindestens einen persönlichen Austausch der beiden. Dies gemäss den E-Mails, welche die «Schweiz am Wochenende» publiziert hat.

Tatsächlich berichtete der «Blick» immer wieder vorab exklusiv über Bersets Anträge zuhanden des Bundesrats (wobei die Journalisten in Abrede stellen, dass der CEO die Quelle war). Wie böse Zungen behaupten, geschahen die Indiskretionen mit der Intension, anstehende Entscheide des Gesamtbundesrats im Sinne Bersets zu beeinflussen und Berset im «Blick» gute Schlagzeilen zu «erkaufen».

Das Vertrauen ist dahin

Gegen Bersets Vertrauten läuft – vielleicht noch sehr lange – ein Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung; die parlamentarische Geschäftsprüfungskommission will sich der Sache ebenfalls annehmen. Juristisch gilt die Unschuldsvermutung. Doch ohne Vorverurteilung steht fest: Das Vertrauen ist dahin. Der Bundespräsident spricht dieser Tage nicht Klartext, was seine Rolle bei den Corona-Leaks betrifft; sich plausibel zu entlasten, vermag er nicht.

Ein Bundesrat hat ein Problem, wenn ihm weder Personen aus der Bevölkerung noch aus der Politik zuhören können, ohne dabei an all seine mutmasslichen und erwiesenen Verfehlungen zu denken, wenn sie sich fragen müssen, ob er lügt oder nicht. Zudem müssen die jüngsten Enthüllungen für seine Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat ein Schlag ins Gesicht sein. Denn das Gremium als Ganzes nimmt Schaden.

Alain Berset belastet SP

Nicht zuletzt ist Alain Berset auch zur Belastung geworden für seine Partei, die SP, die ohnehin im Begriff ist, Wählerstimmen zu verlieren. Im Oktober sind eidgenössische Wahlen, im Dezember Bundesratswahlen – die grüne Konkurrenz in den Startlöchern. Versucht Berset auch dieses Mal, die Angelegenheit auszusitzen, schadet er seiner Partei, insbesondere aber der Institution Bundesrat.

Ein Rücktritt wäre ein klares Zeichen dafür, dass besagte Vorgänge einer Kollegialregierung unwürdig sind. Ein Rücktritt gäbe überdies dem seit anfangs Jahr neu zusammengesetzten Bundesrat die Möglichkeit eines Neustarts ohne Vorbelastung.

Nun hat es Berset in der Hand: Tritt er zurück, kann er beweisen, dass er nicht derart eitel und machtversessen ist, wie ihm gewichtige Parlamentsmitglieder bisweilen nachsagen. Ein Rücktritt wäre ein respektabler Akt eines echten Staatsmannes. Eines Staatsmannes, der Alain Berset während der Corona-Krise in den Augen vieler Schweizerinnen und Schweizer war.

veröffentlicht: 22. Januar 2023 17:07
aktualisiert: 23. Januar 2023 09:45
Quelle: Bundeshaus-Redaktion

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