Barber-Pole

Blau-weiss-rote Säule vor dem Barbershop: Ein Kultobjekt mit blutiger Geschichte

17.04.2023, 21:30 Uhr
· Online seit 16.04.2023, 11:58 Uhr
Mittlerweile verspricht sie den Männern eine professionelle Bartrasur. Das Kultsymbol aus dem Mittelalter, welches vor praktisch jedem Barbershop im Kanton aufgestellt ist. Hier erfährst du, welche blutige Tradition hinter dieser Pole steckt.
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Es ist das Kultsymbol der Barbershops. Die blau-weiss-roten Säulen hängen und stehen inzwischen vor fast jedem Geschäft, welches den Männern Haarschnitt und Rasur anbietet. Ein Symbol, welches ursprünglich aus dem Mittelalter stammt und seinen Ursprung in einer blutigen Angelegenheit findet: dem Aderlass. Angesprochen auf die mittelalterliche Tradition sagen diverse Barbiere in der Region: «Das habe ich nicht gewusst. Auch bei uns vor dem Eingang ragen solche Säulen, aber so etwas Blutiges würden wir natürlich nie anbieten.»

Mönche führten den Aderlass durch 

Legenden zufolge führten Mönche, welche sich oft um kranke Menschen kümmerten, das Verfahren des Aderlasses durch. Die Barber waren geschickt im Umgang mit ihren scharfen Instrumenten und assistierten den Geistlichen deshalb dabei. Beim sogenannten Aderlass wurden den Kranken eine Vene aufgeschnitten und so Blut abgelassen. Es war eine gängige Behandlung bei Krankheiten wie beispielsweise der Pest. Ein Angebot, welches die heutige Barber-Pole symbolisiert.

Rot für Blut, Blau für Adern, Weiss für den Verband 

Am «Pole», also am Pfosten, solle sich früher der Kranke jeweils festgehalten haben, um die Adern sichtbar hervortreten zu lassen. Die roten Streifen an der heutigen Barber-Pole stehen symbolisch für das Blut. Die weissen Streifen stehen für die Mulchtücher, welche nach der Behandlung als Verbände benutzt wurden und die blauen Streifen sollen die Adern darstellen.

Aderlass wird heute noch in Spitälern durchgeführt

«Ehrlicherweise muss man jedoch sagen, dass die früheren Aderlässe nicht funktioniert haben», sagt der leitende Arzt der Hämatologie vom Kantonsspital Aarau, Nathan Cantoni. Durch die Entfernung des Blutes sei nicht die Ursache der Krankheit behandelt worden und der Patient wurde somit auch nicht geheilt. Trotzdem wendet er heute noch regelmässig den Aderlass an: «Es gibt zwei Erkrankungen, bei welchem wir die Aderlasstherapie anwenden», erklärt Cantoni und ergänzt: «Bei der Hämochromatose beispielsweise. Wenn ein Patient aus genetischen Gründen zu viel Eisen im Körper hat, dann können wir mit einem Aderlass Blut und somit Eisen entfernen.» Eine weitere Aderlasstherapie wird bei einer besonderen Krebserkrankung der sogenannten Polycythaemia Vera angewendet. Wenn sich unkontrolliert rote Blutkörperchen vermehren, «dann nehmen wir den Patienten regelmässig 450 Milliliter Blut ab, um so die roten Blutkörperchen vorübergehend reduzieren zu können», meint der Hämatologe.

Blutspende ist der heutige Aderlass 

Der wirkliche Vergleich mit dem früheren Aderlass sieht Cantoni jedoch in der heutigen Blutspende. Auch da wird der Zugang über die Vene gelegt. Jedoch nicht mit einem Rasiermesser, sondern mit steriler Nadel und einem Schlauch: «Wir brauchen Blut für unsere Patienten. Deshalb sind wir froh, wenn gesunde Menschen heute einen ‹Aderlass› machen lassen und so Blut spenden für kranke Mitmenschen.»

Auch im Kloster ist der Aderlass noch heute Tradition 

Nicht nur in der Medizin, auch im Kloster sind Überreste des einstigen Aderlasses zu finden. «Nach einer solchen Behandlung mussten sich die Patienten jeweils wieder erholen. Sie wurden von den Mönchen bei uns im Kloster Einsiedeln aufgepäppelt und genossen ein paar erholsame Tage», sagt Pater Lorenz. Deshalb feiern Mönche heute noch eine Art klosterinterne freie Tage, die sogenannte «Lässe». «Dreimal im Jahr sind wir befreit von den gemeinsamen Verpflichtungen und Gottesdiensten. Wir erholen uns dann beispielsweise bei gemeinsamen Wanderungen», fügt der Pater an.

Was also in der Medizin und im Kloster noch immer angewendet wird, ist in den Barbershops längst vergessen. Geblieben ist einzig die blau-weisse-rote Pole, welche den Männern eine professionelle Rasur verspricht.

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veröffentlicht: 16. April 2023 11:58
aktualisiert: 17. April 2023 21:30
Quelle: ArgoviaToday

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