Bundesrat will Zugang zur Psychotherapie vereinfachen

26.06.2019, 17:10 Uhr
· Online seit 26.06.2019, 15:45 Uhr
Menschen mit psychischen Problemen sollen einfacher zu einer Psychotherapie auf Kosten der Krankenkasse kommen. Der Bundesrat schlägt einen Systemwechsel vor: Psychologinnen und Psychologen sollen künftig auf ärztliche Anordnung selbständig tätig sein können.
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Heute zahlen viele eine Psychotherapie selber - oder verzichten darauf, weil sie es sich nicht leisten können. Die Leistungen psychologischer Therapeutinnen und Therapeuten werden von der obligatorischen Krankenversicherung nur übernommen, wenn sie unter Aufsicht und in den Räumlichkeiten eines Arztes erbracht werden.

Der Bundesrat will das ändern. Am Mittwoch hat er die Vernehmlassung dazu eröffnet. Künftig sollen psychologische Therapeutinnen und Therapeuten ihre Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung selbständig erbringen dürfen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So benötigen sie eine entsprechende Qualifikation, eine Berufsausübungsbewilligung des Kantons sowie klinische Erfahrung.

Die Psychotherapie muss ausserdem durch eine Ärztin oder einen Arzt angeordnet werden - wie heute die Physiotherapie. Es kann sich aber um einen Hausarzt oder um eine Gynäkologin handeln. Eine vorgängige Konsultation bei einer Psychiaterin oder einem Psychiater ist nicht mehr zwingend.

Der Bundesrat verspricht sich dadurch eine bessere Versorgung: Mit dem Systemwechsel könnten Engpässe bei Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen in Krisen- und Notfallsituationen reduziert werden, schreibt er. Die Anordnung durch eine Hausärztin oder einen Hausarzt ermögliche einen einfacheren und früheren Zugang zur Psychotherapie. Damit könnten auch Langzeittherapien und Chronifizierungen vermindert und der Medikamentenbedarf reduziert werden.

Psychische Störungen zählten zu den häufigsten und am meisten einschränkenden Krankheiten, sagte Gesundheitsminister Alain Berset vor den Medien. Es handle sich um einen wichtigen Bereich der Gesundheitsversorgung. Im Laufe eines Jahres tritt bei bis zu einem Drittel der Schweizer Bevölkerung eine psychische Krankheit auf - in den meisten Fällen eine, die behandelt werden sollte.

Am häufigsten sind Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen. Dies verursache auch hohe volkswirtschaftliche Kosten, schreibt der Bundesrat im Vernehmlassungsbericht. Er zitiert eine Studie aus Kanada, wonach ein Dollar, der zur Versorgung der Depression investiert wird, der Gesellschaft durchschnittlich zwei Dollar spart.

Die Änderung würde indes zu einem Anstieg der Kosten für die Krankenkassen führen: Der Bundesrat geht davon aus, dass heute privat bezahlte Leistungen im Umfang von rund 100 Millionen Franken über die obligatorische Krankenversicherung abgerechnet würden. Längerfristig dürfte diese Zahl noch etwas steigen, schreibt er. Im Vernehmlassungsbericht ist die Rede von 167 Millionen Franken.

Exakt beziffern kann der Bundesrat die Mehrkosten jedoch nicht. Dies hängt auch mit den längerfristigen Einsparungen zusammen, die er sich durch die bessere Versorgung verspricht. Zudem fielen Fehlanreize weg, sagte Berset. Beim heutigen Modell verdiene der Arzt mit. Deshalb gebe es einen gewissen Anreiz, eine Therapie zu verschreiben. Das wäre nicht mehr der Fall.

Um den Anstieg der Kosten zu begrenzen beziehungsweise eine ungerechtfertigte Mengenausweitung zu vermeiden, schlägt der Bundesrat verschiedene Massnahmen vor. So sollen pro ärztliche Anordnung maximal 15 Sitzungen möglich sein. Für eine Verlängerung wäre eine neue ärztliche Anordnung nötig.

Weiter soll die Zahl der Sitzungen reduziert werden, die abgehalten werden dürfen, bis mit dem Versicherer Rücksprache genommen werden muss - sowohl für die psychologische als auch die ärztliche Psychotherapie. Bisher galt für die ärztliche Psychotherapie die maximale Anzahl von 40 Sitzungen, neu sollen es 30 Sitzungen sein. In der Schweiz dauert eine durchschnittliche Psychotherapie 29 Sitzungen.

Das Ziel einer früheren Prüfung durch eine Zweitinstanz sei die potenziell frühere Erkennung von Fällen, in denen für eine Fortführung der Therapie kein weiterer erwarteter Zusatznutzen aufgezeigt werden könne, heisst es im Bericht zur Vernehmlassung.

Um die Auswirkungen der Neuregelung auf die Kosten und die Versorgung zu überwachen, soll über die nächsten Jahre ein Monitoring durchgeführt werden. Die neuen Regeln sollen anschliessend evaluiert werden.

Die Vernehmlassung zu den nötigen Verordnungsänderungen dauert bis zum 17. Oktober. Das heutige Modell beruht auf einem Entscheid des Bundesgerichts. Es war als Übergangslösung bis zur Harmonisierung der Ausbildung von Psychologinnen und Psychologen gedacht gewesen. Mit dem Bundesgesetz über die Psychologieberufe, das 2013 in Kraft getreten ist, sei die Harmonisierung erfolgt.

veröffentlicht: 26. Juni 2019 15:45
aktualisiert: 26. Juni 2019 17:10
Quelle: SDA

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