Umwelt

Zulassung für Chlorothalonil wird mit sofortiger Wirkung entzogen

12.12.2019, 13:55 Uhr
· Online seit 12.12.2019, 13:55 Uhr
Zu hohe Chlorothalonil-Rückstände im Trinkwasser hatten im Sommer für Schlagzeilen gesorgt. Nun wird das Fungizid in der Schweiz verboten. Der Bund entzieht die Zulassung für das Inverkehrbringen des «wahrscheinlich krebserregenden» Fungizids mit sofortiger Wirkung.
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Ab dem 1. Januar 2020 dürfen Produkte mit diesem Wirkstoff nicht mehr verwendet werden. Das teilte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) am Donnerstag mit. Die Prüfung der zusätzlichen Informationen durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ergab laut Mitteilung, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass gewisse Abbauprodukte dieses Fungizids keine langfristigen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben.

Das Verfahren zum Verbot des Fungizids war im Sommer eingeleitet worden. Nach der Ankündigung des Widerrufs der Bewilligung konnten Hersteller und Umweltschutzorganisationen ihre Meinung kundtun. Die Industrie legte neue Daten von anerkannten Laboratorien betreffend der Toxizität gewisser Abbauprodukte vor.

Der Wirkstoff Chlorothalonil wird in der Landwirtschaft seit den Siebzigerjahren etwa beim Anbau von Kartoffeln, Getreide und Gemüse angewendet. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 2025 Tonnen Pestizide eingesetzt, davon 45 Tonnen des Wirkstoffes Chlorothalonil, was einem Anteil von 2,22 Prozent an allen ausgebrachten Pestiziden entspricht, wie es beim BLW auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA hiess.

Wahrscheinlich krebserregend

Das BLV teilt die Einschätzung der EU-Kommission, dass Chlorothalonil als wahrscheinlich krebserregend eingestuft werden muss. Somit seien auch alle Grundwassermetaboliten, also Abbauprodukte, als relevant anzusehen. Weil zu erwarten sei, dass diese Produkte über den gesetzlichen Normen für Trinkwasser liegen, sei es notwendig, schnell zu handeln, um ihr Vorkommen im Grundwasser zu reduzieren.

Im Sommer hatte der Bund eine Weisung für den Umgang mit Risiken durch Chlorothalonil-Rückstände erlassen. Wird bei bestimmten Abbauprodukten der Höchstwert von 1 Mikrogramm pro Liter überschritten, müssen Massnahmen ergriffen werden.

Während dieser Zeit müssen belastete Wasserfassungen nicht geschlossen werden. Ein solches Verbot wäre als reine Vorsichtsmassnahme unverhältnismässig und könnte zu Versorgungsengpässen führen, schrieb der Bundesrat Ende November. Wie viele Personen Wasser aus Fassungen beziehen, bei denen es bisher nicht möglich war, die Einhaltung der Höchstwerte sicherzustellen, ist dem Bund nicht bekannt.

Viele Wasserfassungen betroffen

Der Schweizerische Verein der Gas- und Wasserversorger (SVGW) geht davon aus, dass im Mittelland praktisch alle Gemeinden betroffen sind, die ihre Quell- und Grundwasserfassungen ausschliesslich auf Ackerland betreiben, wie SVGW-Mediensprecher Paul Sicher auf Anfrage sagte. Bisher sei lediglich das Chlorothalonil-Abbauprodukt Sulfonsäre als möglicherweise gesundheitsgefährdend eingestuft und nachgewiesen worden.

Laut BLW sind alle Grundwassermetaboliten als relevant anzusehen. Die Auswirkungen will der Verband in den nächsten Tagen prüfen, wie Sicher sagte. Das betroffene Wasser könne jedoch mit «sauberem» Wasser gemischt werden. Eine Aufbereitung des Wassers sei bis heute nicht umsetzbar. Bisher seien etwa 20 Grundwasserfassungen ganz geschlossen worden.

«Das nun erlassene Verbot reicht jedoch nicht aus», sagte Sicher weiter, deshalb fordere der Verband eine Verschärfung verschiedener Gesetze. So solle der Pestizidverbrauch in Privatgärten, bei Gemeinden, der SBB und anderen Branchen unter die Lupe genommen werden.

Aktuell werden noch 30 Mittel überprüft

Früher war die Beurteilung der Toxizität von Abbauprodukten keine Anforderung für die Zulassung eines Mittels. Die aktuellen Anforderungen an eine Bewilligung für Pflanzenschutzmittel seien jedoch höher als vor zwanzig Jahren, schreibt das BLW.

Im Jahr 2010 führte der Bund ein Programm zur Überprüfung von alten Pflanzenschutzmitteln ein, um zu gewährleisten, dass diese die aktuellen Anforderungen immer noch erfüllen. Aktuell sind laut dem Bundesrat noch dreissig Pflanzenschutzmittel in Überprüfung.

Im Rahmen dieser Überprüfung wurde festgestellt, dass bestimmte Abbauprodukte von Chlorothalonil im Grundwasser als relevant erachtet werden müssen. Seit Beginn der Überprüfung wurden fast hundert Wirkstoffe getestet. Zum ersten Mal führt die Frage der Relevanz eines Abbauprodukts im Grundwasser dazu, dass Pflanzenschutzmitteln die Zulassung entzogen wird.

Auch andere Mittel verboten

Das BLW hatte im Juni bereits alle zwölf Bewilligungen für Pestizide mit den Wirkstoffen Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl widerrufen. Das Mittel zählt bis heute zu den am häufigsten eingesetzten Insektiziden. Damit wurden seit den 1960-er Jahren unter anderem Kartoffeln, Gemüse, Beeren und Weintrauben gespritzt. In der Schweiz wurde der Wirkstoff in den letzten fünf Jahren in Mengen von 10'000 bis 15'000 Kilogramm pro Jahr in die Umwelt gebracht.

Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl seien äusserst giftig für Menschen, Vögel, Säugetiere, Fische, Amphibien, Insekten und namentlich auch alle Arten von Bienen und Hummeln, argumentierte das BLW.

Die Trinkwasser- und Pestizidinitiative fordern unterdessen, dass nur noch Bauernbetriebe Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide einsetzen und ohne prophylaktischen Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung auskommen. Die Initiativen sind noch im Ständerat hängig, dessen Wirtschaftskommission drängt auf verbindliche Massnahmen für eine Reduktion der umstrittenen Mittel. Der Nationalrat lehnt beide Initiativen ab.

Mehrere Umweltverbände begrüsste das Verbot auf Twitter als «längst überfälligen Schritt», darunter WWF, BirdLife und Greenpeace Schweiz. Der Schweizer Bauernverband hatte die Bauernbetriebe anfangs November aufgerufen, keine Pflanzenschutzmittel, die Chlorothalonil enthalten, einzusetzen. Der Basler Agrochemiekonzern Syngenta zeigte sich in einer Mitteilung enttäuscht über den Entscheid des BLW.

veröffentlicht: 12. Dezember 2019 13:55
aktualisiert: 12. Dezember 2019 13:55
Quelle: sda

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