Eisenbahn

Die Renaissance der Gotthard-Bergstrecke

13.12.2020, 16:23 Uhr
· Online seit 13.12.2020, 16:14 Uhr
Die Südostbahn fährt wieder mit dem Treno Gottardo Fernverkehrszüge von der Deutschschweiz umsteigefrei ins Tessin. So wird die die historische Bahnlinie wieder aufgewertet.
Gerhard Lob
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Abfahrt in Bellinzona um 9.40 Uhr. Der neue Gotthard-Zug steht abfahrtbereit am Gleis in Richtung Norden. Bellinzonas Stadtpräsident Mario Branda ist gekommen, ebenso Tourismusdirektor Juri Clericetti. Sie begrüssen Thomas Küchler, den Chef der Südostbahn (SOB), und sein Team. Dieser ist am frühen Morgen von Zürich ins Tessin gefahren, mit dem Erstzug des neuen Treno Gottardo.

Die unspektakuläre Zusammenkunft auf dem Bahnsteig hat einen guten Grund. Denn dieser Sonntag präsentiert einen Meilenstein für das Ostschweizer Bahnunternehmen SOB sowie für die Gemeinden entlang der historischen Gotthard-Bergstrecke, welche die SBB vor einigen Jahren in Panorama-Strecke umgetauft hat. «Die SOB schafft mit dem ‹Treno Gottardo› ein Angebot, um den Betrieb der Gotthard-Bergstrecke nachhaltig zu sichern», sagt Küchler im Gespräch mit CH Media. Und die SOB wird zu einem Anbieter im nationalen Fernverkehr.

Ein neuartiges Co-Branding von SBB und SOB

Tatsächlich ist der SOB ein kleines Husarenstück gelungen. Vor sieben Jahren hatte sie erstmals die Idee ins Spiel gebracht, von Arth-Goldau über die Bergstrecke ins Tessin zu fahren. Doch die SBB als grösstes nationales Bahnunternehmen und Inhaber der Fernverkehrskonzession für diese Strecke wehrte sich. Mit der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels reduzierte die SBB allerdings den Service auf der Panorama-Linie auf S-Bahn-Niveau mit obligatorischem Umstieg in Erstfeld.

Als Folge gingen die Passagierzahlen massiv zurück. Das gab der SOB-Idee wieder Auftrieb. Am Ende einigte man sich auf ein neuartiges Co-Branding. Die SBB hält die Konzession für die Strecke, durchgeführt wird der Betrieb aber von der SOB, und zwar mit den neuen kupferfarbenen Traverso-Zügen, einem spektakulären Zug mit grossen Panoramafenstern von StadlerRail, der nun durch die Landschaft gleitet.

Der Lastesel der Nation

Wer über die Panoramastrecke fährt, sollte sich Zeit nehmen, denn die Fahrt dauert natürlich wesentlich länger als durch den Gotthard-Basistunnel. Küchler ist das bewusst: «Der Weg ist das Ziel lautet unsere Devise. » Tatsächlich ist das Bergerlebnis auch an diesem Sonntag gewährleistet. In Bodio, am Südportal des Gotthard-Basistunnels, liegen nur noch Schneereste. Doch mit den Höhenmetern nehmen die Schneemengen zu. Airolo und Göschenen präsentieren sich im winterlichen Kleid, in Erstfeld sind die Felder dann wieder grün.

In Göschenen steht der Historiker Kilian Elsasser am Gleis. Er ist einer der treibenden Kräfte für die – bisher nicht erfolgte - Anerkennung der Gotthard-Bergstecke als Unesco-Weltkulturerbe. Auch er spricht angesichts der neuen Interregio-Züge von einem Meilenstein: «Die Gotthard-Bergstrecke war lange mit den Güterzügen der Lastesel der Nation, jetzt wird sie zur touristischen Vorzeigestrecke». Die direkte Erreichbarkeit von Göschenen sei extrem wichtig für den Standort Andermatt und die touristische Erschliessung der ganzen Gotthard-Region.

Sicht auf das «Chileli» von Wassen

Im Moment ist der Betrieb des Treno Gottardo noch eingeschränkt. Die Züge von Basel und Zürich, sie verkehren stündlich alternierend, werden in Bellinzona gewendet. Ab April werden die Direktverbindungen dann bis und von Locarno gelten. In der Tourismusstadt Locarno wartet man sehnsüchtig auf diesen Moment.

Gebaut wurde die Gotthard-Bergstrecke Ende des 19. Jahrhunderts als alpenquerende Bahnverbindung durch die Schweiz. Die Kehrtunnels bei Wassen UR sowie in der Biaschina auf Tessiner Seite gelten bis heute neben dem Gotthard-Scheiteltunnel als Meisterleistung der Ingenieurskunst. Die dreimalige Sicht auf das «Chileli» von Wassen aus unterschiedlichen Höhen gehört bis heute zum kollektiven Bahnerlebnis der Schweizer Bevölkerung.

veröffentlicht: 13. Dezember 2020 16:14
aktualisiert: 13. Dezember 2020 16:23
Quelle: CH Media

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