Eine Stunde Darknet – und das ist passiert
Es blinkt. Farbige, rechteckige, beschriftete Felder tauchen auf dem Bildschirm auf. In einer ClipArt-Version aus dem letzten Jahrhundert stehen Namen, Adressen, Zahlen in den einzelnen Kästchen. Verstörende Bilder nackter Körperteile oder Comicfiguren erscheinen neben Apple-, Visa- oder PayPal-Zeichen. Die Suchmaschine Torch, das Google des Darknets, wirkt wie eine Projektarbeit eines Informatik-Lehrlings in seiner ersten Schulwoche. Einfach. Schlicht und doch unübersichtlich.
Niemand bewegt sich grundlos im Darknet
Im Suchfeld steht das Wort «Cocaine» – es erscheinen verschiedene Links, die meisten führen den User gemäss Beschreibung zu Seiten, auf denen es Kokain zu kaufen gibt. «Pur» oder «legal» sind Adjektive, die im Zusammenhang mit der Sucheingabe erscheinen. «Viele dieser Links sind tot und führen ins Leere. Niemand bewegt sich grundlos im Darknet. Es ist sehr unübersichtlich und Old School», sagt Marc Ruef.
Ruef ist Cyberexperte und Leiter der Forschungsabteilung der Cybersecurity-Firma Scip in Zürich. Er erklärt mir das Darknet. Oder zumindest versucht er, mich als Darknet-Neuling in das Mysterium einzuführen und einen ersten Blick in diese für mich komplett neue und gefürchtete Welt zu erhaschen. Unser Interview findet per Video-Telefonie statt. Er teilt seinen Bildschirm mit mir, auf dem nun eben die Suchergebnisse zum Wort «Cocaine» blau leuchten.
Die Suchergebnisse, die bei der Sucheingabe «Cocaine» erscheinen.
«Versuche, mich auf Arbeit zu konzentrieren»
Marc Ruef kennt sich im Darknet aus. Seine Arbeit ist das Darknet. Im Auftrag von Kunden bringt er im Darknet in Erfahrung, ob deren Daten missbräuchlich verwendet oder geleakt wurden. Durch seine Arbeit stösst der 39-Jährige immer wieder auf Inhalte, die verstörend oder zumindest für ihn ethisch nicht vertretbar sind. Den Glauben an die Menschheit hat er deswegen noch nicht verloren: «Ich versuche, gewisse Sparten zu meiden. So befasse ich mich nicht mit Kinderpornografie.» Er sei aber schon auf Kommentare Rechtsradikaler gestossen, die zur Judenvergasung aufrufen. «Solche Kommentare finde ich einfach nur dumm.»
Mit Kommentaren könne er besser umgehen als mit Bildern. «Ich habe einmal ein Bild eines Mädchens gesehen, das durch eine Bombe entstellt wurde. Das geht mir schon nahe. Ich versuche mich aber immer auf den höheren Sinn meiner Arbeit zu konzentrieren», sagt Ruef.
Marc Ruef ist Cybersecurity-Spezialist und leitet die Forschungsabteilung der Firma Scip in Zürich. Mit 18 Jahren hat er sein erstes Buch zur Sicherheit von Windows herausgegeben.
«Man muss über rechtsextreme Witze lachen»
Die Arbeit im Darknet. Für mich ist nur schon seine Nutzung ein grosses Fragezeichen. Meiner Vorstellung nach ist das Darknet eine zufällige Sammlung illegaler, pornografischer Bilder, gemischt mit verschiedenen Waffenmärkten und überall Angeboten für Drogen, die einfach so aufploppen. Ganz so einfach ist aber die Beschaffung von Drogen, Kinderpornografie oder Waffen auch im Darknet nicht.
«Es gibt natürlich Seiten, auf die gelangt man ziemlich schnell.» Marc Ruef öffnet eine Seite eines niederländischen Marktes, auf dem Marihuana verkauft wird. «Hier kann man sich ziemlich einfach Drogen bestellen.» Für die richtig harten Drogen, Waffen oder illegalen Bilder brauche es aber oft einen speziellen Zugang zu Foren. «Für die spannenden Dinge braucht es Einladungen oder eine Person, die für einem bürgt und einen in Chats bringt.» Um diese Zugänge zu erhalten, sei es oft nötig, sich in den entsprechenden Kreisen «einzuschleimen».
«Es sind vor allem psychische Hürden, die es bei der Arbeit im Darknet unausweichlich zu überwinden gilt.» Wer Waffen- oder Drogenhändler überführen wolle, müsse sich in deren Kreisen beliebt machen. «Man muss beispielsweise über rechtsextreme Witze lachen, sich integrieren und das kann sehr belastend sein.»
«Polizei ist noch zu wenig ausgebildet»
Aber nicht nur die psychische Belastung erschwert die Arbeit der Polizei, von Spezialisten oder Spezialeinheiten. «Viele Online-Märkte wechseln regelmässig ihre Adressen. Wer also einen Monat nicht im Darknet war, hat oft den Anschluss verpasst, seine Kontakte verloren und muss sich neu etablieren.»
Während vor einigen Jahren die Ressourcen bei der Polizei bezüglich Cyberkriminalität noch minim waren, wurden diese zwar mittlerweile ausgeweitet. «Es gelingen immer wieder Schläge gegen Drogen- oder Waffendealer im Darknet. Aber der durchschnittliche Polizist in der Schweiz ist in Bezug auf das Darknet immer noch zu wenig ausgebildet.»
Der Aufbau der Seiten im Darknet ist oft sehr einfach.
In der Schweiz werden Cyber-Polizisten oft erst aktiv, wenn es ein Fall verlangt. «Es wird keine Streife wie auf der Strasse geführt», sagt Ruef. So seien Beamte bereits mehrfach erst aufgrund von Hausdurchsuchungen in anderen Delikten auf verbotene Inhalte im Darknet gestossen. «Auch die Staatsanwaltschaft kennt sich oft nicht gut aus. Deshalb gibt es meistens verhältnismässig milde Urteile in Bezug auf Cyberkriminalität.»
Marc Ruef vermutet, dass Dreiviertel aller Darknet-User kriminelle Absichten haben. Er zeigt mir eine Grafik mit den einzelnen Segmenten des Darknets. Den grössten Teil macht gemäss Analysen der Drogenhandel mit rund 15 Prozent aus. Auch der Waffen- und Bitcoin-Handel nehmen einen grossen Platz im Darknet ein. «Es wird in Kryptowährungen gehandelt. Das muss man sich so vorstellen: Es wird über einen Service Geld im Markt deponiert. Dieser Markt agiert als Bank, zahlt die Ware und sorgt dafür, dass die Lieferketten eingehalten werden.»
Der Verlust von Geld sei im Darknet Gang und Gäbe. «Wer im Internet zehn Mal Drogen bestellt, verliert in fünf bis sechs Fällen sein Geld.» Es wimmelt von Betrügern.
Die guten Seiten des Darknets
Waffen und Drogen – die kleinen Einblicke in das grosse Geschäft mit illegalen Substanzen und Waren, die Marc Ruef mir während einer Stunde gibt, machen Angst und sind irgendwie surreal. Die wild blinkenden Kästchen wirken ungefährlich und die gebastelten Seiten harmlos. Ich bin aber froh, nur an der Fassade gekratzt und nicht in die tiefen Abgründe der Menschheit geblickt zu haben.
Und zum Schluss zeigt mir Marc Ruef noch positive Seiten, die das Darknet mit sich bringt. Die gibt es. Gerade in restriktiven Staaten: So haben sich beispielsweise die Demonstranten im Arabischen Frühling via Darknet organisiert und versammelt und gegen die Regierung protestiert. Auch Whistleblower nutzen das Darknet, um Ungerechtigkeiten und Vertuschungen aufzudecken und die Welt dadurch im besten Fall aus dem Untergrund aus, etwas besser zu machen.