Nix mehr mit Durchmachen

Eltern sollen Kinder gegen Windpocken impfen lassen

25.10.2022, 10:55 Uhr
· Online seit 25.10.2022, 07:13 Uhr
Kinderärzte empfehlen, mit einer Impfung gegen die wilden Blattern vorzubeugen. Sandra Burri von Kinderärzte Schweiz würde eine entsprechende Impfempfehlung befürworten. Der Bund diskutiert zurzeit eine Anpassung des Impfplans.
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Durchmachen – und gut ist: Seit Generationen gelten die Windpocken als harmlose Kinderkrankheit, die jedes Kind einmal erwischen sollte. Neu empfehlen einige Kinderärztinnen und -ärzte Eltern jedoch, Kinder gegen die wilden Blattern impfen zu lassen.

Eine Mutter schilderte kürzlich in einem Artikel des Online-Portals familienleben.ch erstaunt, wie ihre Kinderärztin sie gefragt habe, ob sie ihr Kind «auch gleich gegen wilde Blattern» impfen lassen wolle. Auch Sandra Burri, Vorstandsmitglied der Organisation Kinderärzte Schweiz, ist nicht der Meinung, dass Kinder die Krankheit durchmachen sollten. «Wer so denkt, hat die Impfung nicht verstanden», zitiert das Portal sie. Eine Varizellen-Infektion bedeute mehr als einfach ein paar rote Punkte auf der Haut.

Auf Anfrage der Today-Zentralredaktion bestätigt Burri die Aussagen. Aktuell werde die Impfung für Kinder empfohlen, die etwa schwere Hautprobleme wie Neurodermitis oder ein geschwächtes Immunsystem hätten, sagt sie. Burri macht darauf aufmerksam, dass Windpocken später im Leben eine Gürtelrose auslösen könnten. Aus diesem Grund werde die Impfung auch für gesunde Kinder, jedoch auf eigene Kosten der Eltern angeboten. «Medizinisch macht die Impfung durchaus Sinn, darum würde ich eine Impfempfehlung befürworten.»

Impfen im Alter zwischen neun und zwölf Monaten

Erkranken Erwachsene an Windpocken, besteht ein erhöhtes Risiko für Komplikationen. Der Schweizer Impfplan empfiehlt deshalb noch nicht immunen Jugendlichen zwischen 11 und 15 Jahren und Erwachsenen bis 39 Jahre, sich gegen Windpocken impfen zu lassen. Für bestimmte Risikogruppen rät das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ab dem 12. Lebensmonat zur Impfung. Verabreicht wird diese mit zwei Dosen im Abstand von mindestens vier Wochen.

Sandra Burri erachten die Impfung im Alter von neun und zwölf Monaten nun auch für gesunde Kinder als ideal. Diese könne aber auch später nachgeholt werden, sofern das Kind die Windpocken nicht gehabt habe.

«Problematisch im Augenbereich»

Eine ähnliche Haltung vertritt Heidi Zinggeler Fuhrer, Vizepräsidentin des Vereins Haus- und Kinderärzte Schweiz (MFE). Mit der aktuell geltenden Varizellen-Impfempfehlung ab elf Jahren sollen Jugendliche und Erwachsene vor in diesem Alter schwereren Verläufen geschützt werden, sagt Zinggeler Fuhrer. «Die Varizellen-Impfung schützt aber auch bei früherer Anwendung sehr gut gegen die akute Erkrankung und die möglichen Spätfolgen.» Sie rechnet damit, dass diese Varizellen-Impfung demnächst in den Impfplan aufgenommen wird.

Die aktuellen offiziellen Empfehlungen des BAG bilden laut der Vizepräsidentin die Basis für die Beratung in der kinderärztlichen Praxis. Dabei müssten aber bereits heute individuelle Risikofaktoren mitberücksichtigt werden.

«Es gibt gute Gründe, auch schon ein kleineres Kind gegen Windpocken impfen zu lassen», sagt Zinggeler Fuhrer. Kinder mit zum Beispiel starkem Ekzem könnten ganz besonders schwer erkranken und sollten durch die Impfung bestmöglich vor einer Varizellenerkrankung geschützt werden. «Bei Erkrankungen unter zwei Jahren besteht ein erhöhtes Risiko, Jahre später an einer Gürtelrose zu erkranken.» Dies sei einer der Gründe, die für eine frühe allgemeine Windpocken-Impfung sprechen würden. «Gürtelrose führt zu schmerzhaften, schlecht abheilenden Bläschen eines isolierten Hautbereiches und ist vor allem im Augenbereich problematisch.»

Im Ausland wird schon früh geimpft

Im Ausland hüten schon länger keine Kinder mehr übersät mit roten Punkten das Bett. In Italien beispielsweise ist die Varizellen-Impfung Pflicht, in Deutschland und Österreich wird sie für Kleinkinder empfohlen. Die Unterschiede sind in Schweizer Kinderarztpraxen ein Thema.

«Eingewanderte Deutsche erkundigten sich ab und zu nach der Möglichkeit, ihr Kind gegen Windpocken impfen zu lassen», sagt Zinggeler Fuhrer.

Diskussionen seien im Gange

Im Vergleich zum Ausland sind die Schweizer Behörden laut Zinggeler Fuhrer eher zurückhaltend mit Impfempfehlungen. «Das trifft nicht nur bei Varizellen zu, sondern auch bei anderen Impfungen wie zum Beispiel gegen das Rotavirus.» Über Nutzen und Risiken der Varizellen-Impfung werde seit Jahren diskutiert. Auch gehe es um die Kosten und wer diese tragen solle. «In der Regel wird eine Impfung erst in den Impfplan aufgenommen, wenn Nutzen und Risiken klar sind und wenn schlussendlich auch die Kostenfrage geklärt ist.»

Tatsächlich könnte die neue Empfehlung schon bald in den Impfplan aufgenommen werden. «Die Diskussionen über eine Änderung der Impfempfehlung zu Windpocken laufen», antwortet das Bundesamt für Gesundheit auf Anfrage knapp. Die definitiven Empfehlungen würden in einer der nächsten Ausgaben des BAG-Bulletins veröffentlicht. Wird die Impfung in einem früheren Alter empfohlen, deckt auch die Krankenkassen die Kosten.

veröffentlicht: 25. Oktober 2022 07:13
aktualisiert: 25. Oktober 2022 10:55
Quelle: Today-Zentralredaktion

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