Kirchenstreit?

«Haltet euch an die Regeln» – stellen sich Schweizer Bischöfe gegen den Papst?

· Online seit 11.01.2023, 17:08 Uhr
Der Neujahrsbrief der Deutschschweizer Bischöfe sorgt für offene Münder und Unverständnis in der katholischen Kirche. Die Allianz Gleichwürdig Katholisch stellt nun in einem offenen Brief Fragen. Ist der irritierende Brief der Bischöfe wirklich in Gottes Sinne?
Yasmin Stamm
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«Wir bitten Sie darum, die Liturgie nicht zum Experimentierfeld persönlicher Vorhaben zu machen.» Mit diesen Worten richteten sich am letzten Mittwoch die Bischöfe der Bistümer Basel, Chur und St.Gallen gemeinsam mit einem Neujahrsbrief an ihre Seelsorgenden.

Sie bedankten sich zwar mit netten Worten für den Dienst in der Kirche, doch ermahnen sie die Seelsorger und Seelsorgerinnen gleichzeitig. Man bitte sie, den Regeln und Formen der Kirche zu folgen. Und dies ausgerechnet während des vom Papst angeordneten synodalen Prozesses.

Die Bischöfe schreiben, dass es nicht um blinden Gehorsam oder gar die Förderung des patriarchalen Klerikalismus (männlich geführte katholische Kirche) gehe, jedoch sei zu respektieren, dass einige Dinge wie die Krankensalbung oder das Hochgebet in der katholischen Kirche den Priestern vorbehalten sei und bleiben sollte.

Am Montag richtete sich nun die Allianz Gleichwürdig Katholisch (AGK) kritisch mit einem offenen Brief an die drei Bischöfe.

Befremdlicher Brief der Bischöfe

In dem Brief hinterfragen sie mit sechs spezifischen Punkten die Aussagen der Bischöfe. Doch die eigentliche Frage dahinter ist ein grosses «Warum?»

«Wir verstehen nicht, warum die Bischöfe diesen Brief unbedingt während des laufenden synodalen Prozesses verschicken mussten», sagt Katharina Jost, Mitglied der Steuergruppe AGK. Im synodalen Prozess gehe es um das gemeinsame Gestalten einer zukunftsfähigen Kirche. Genau jetzt aber auf das Einhalten alter Regeln eingefuchst zu werden, sei sehr befremdlich.

«Es gibt in unseren Augen grössere Sorgen als das Befolgen der liturgischen Regeln», so Jost. Dazu gehören zum Beispiel Missbräuche und die damit verbundene angeschlagene Glaubwürdigkeit der Kirche. Dies möchte die AGK mit dem Brief vor Augen führen.

Auch weitere kritische Stimmen

Doch nicht nur die Allianz Gleichwürdig Katholisch reagierte irritiert auf den Brief der Bischöfe. Viele Seelsorger und Theologinnen meldeten sich ebenfalls zu Wort.

Zum Beispiel schreibt die Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Rita Famos, auf Facebook, dass der patriarchale Klerikalismus nirgends sichtbarer werde als in der römisch-katholischen Liturgie. Dies bestätigt die reformierte Pfarrerin Sibylle Forrer gegenüber kat.ch. «Man kann nicht so tun, als ob die Tatsache, dass in der katholischen Kirche nur Männer Priester werden dürfen, nichts mit einer patriarchalischen Struktur zu tun hat», sagt sie.

Jesus hätte Frauen gleichberechtigt behandelt und ihnen käme als erste Zeuginnen der Auferstehung sogar eine Schlüsselrolle in der Verkündigung zu, so Forrer weiter.

Vreni Ammann, Pfarrleiterin der katholischen Pfarrei Rotmonten in St.Gallen, sagt zu dem Brief: «Als zuständige Seelsorgerin tue ich das, was ich als hilfreich erachte für den Menschen in Not, vor mir und vor Gott als richtig wahrnehme.» Es habe nichts damit zu tun, dass sie sich in den Vordergrund rücken oder katholische Priester übergehen möchte.

Bisher noch keine Antwort

Der offene Brief der AGK weist auf einige Argumentationslücken der Bischöfe hin. «Wir möchten aber den Bischöfen damit nicht gegen das Schienbein kicken, sondern zum Denken anregen», sagt Jost. Die Fragen seien nicht dazu da, die drei Bischöfe blosszustellen, sondern seien ernst gemeint. «Wir hoffen, dass sich die Bischöfe erklären und unsere Fragen beantworten», so Jost.

Der Basler Bischof Felix Gmür, der auch Präsident der Schweizer Bischofskonferenz ist, werde im Februar zusammen mit drei weiteren Personen, zu der auch ein Mitglied der AGK gehört, zur kontinentalen Synodenversammlung reisen, wo die weltweiten Umfragen besprochen werden und schlussendlich in die Synodenversammlung im Herbst 2023 und 2024 in Rom einfliessen.

Mit dem Brief stelle sich nun umso mehr die Frage, wie die Bischöfe eigentlich wirklich zur Synodalität stehen. Dies auch, weil momentan in den Bistümern synodale Gremien entstehen, welche das Thema der Veränderung auf Bistumsebene angehen.

Bisher habe die Allianz Gleichwürdig Katholisch noch keine Rückmeldung der drei Bischöfe auf den Brief erhalten. In der kurzen Frist wurde dies jedoch auch gar nicht erwartet. Zu den kritischen Stimmen der Seelsorger und Seelsorgerinnen äusserte sich bisher erst Felix Gmür.

Von einem Rüffelbrief könne nicht die Rede sein. Bei dem Brief handle es sich um einen Neujahrsgruss und einen herzlichen Dank für den Dienst aller. Darin sehe er kein Problem.

veröffentlicht: 11. Januar 2023 17:08
aktualisiert: 11. Januar 2023 17:08
Quelle: FM1Today

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