Literatur

Hundert Jahre Innigkeit: über die grosse Dichterin Erika Burkart

· Online seit 08.02.2022, 08:32 Uhr
Die Schweizer Lyrikerin Erika Burkart (1922-2010) wurde als einzige Frau mit dem Grossen Schillerpreis geehrt. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden. Ihr Lebensgefährte Ernst Halter hat deshalb Gedichte für ein neues Buch zusammengestellt.
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«Spiegelschrift» heisst die Sammlung, die heute gültiger wirkt denn je. Die Klimajugend müsste sie lieben: Erika Burkart hat sich mit Leib und Seele der Natur verschrieben, hat schreibend ein Leben lang gegen die menschliche Entfremdung von der Umwelt und deren Zerstörung protestiert.

1956 bekam sie die erste einer langen Reihe von Auszeichnungen; die letzte war 2005 der Grosse Schillerpreis für ihr Lebenswerk, den sie als einzige Frau trägt. Zu diesem Zeitpunkt galt sie als meistgelesene Dichterin im deutschen Sprachraum, ihre Bücher erreichten für Lyrik ungewöhnlich hohe Auflagen. Von ihrem ureigenen Platz aus, zwischen der vorangegangenen Rose Ausländer, der nachfolgenden Sarah Kirsch und der gleichaltrigen, ungleich radikaleren Friederike Mayröcker, hat Erika Burkart die Welt erreicht, obwohl sie selber ganz zurückgezogen von ihr lebte.

Fluchtwelt Kindheit

Hat die Schweizer Dichterin, herzkrank und von zarter, ätherischer Erscheinung, im Auge des Hurrikans gelebt? Dort, wo es ganz still ist, während rundum die Welt aus den Fugen gerät? Angesichts einer Vielzahl an Gedichten, die nebst Burkarts innerer Welt fast ausschliesslich ihren Garten als Themenkreis kennen, scheint es so.

Das Gedicht «Gartenlektüre» verdeutlicht die Haltung der immer wieder zweifelnden Gläubigen zur Schöpfung: «Ein Insekt. Seite vierzig. Es war weiss und so klein, wie ich nie zuvor /etwas gesehen hatte. / Es sass auf dem Buchstaben X, an jenem Tag las ich / kein Wort mehr.»

An erhöhter Lage, auf einem Hügel im aargauischen Freiamt, steht es noch immer, das Haus Kapf in seinem parkähnlichen Garten, eine ehemalige Residenz von Äbten, die Burkarts Vater gekauft und zum Wirtshaus umfunktioniert hatte.

Dass es damals alles andere als still war im Haus Kapf, beschreibt Erika Burkart in autobiografischen Aufzeichnungen; auch einzelne Prosawerke wie «Die Vikarin» berichten von wenig paradiesischer Kindheit. Dennoch stellt das Kind - insbesondere in Burkarts von der Romantik beeinflusstem Frühwerk – das Ideal des «ganzen», noch nicht entfremdeten Menschen dar, der eins ist mit der Natur.

Märchen, Sagen und Literatur, von der Mutter vermittelt, boten dem Kind Erika eine Fluchtwelt, aus der die spätere Frau vielleicht nie ganz zurückgekehrt ist. Nach krankheitsbedingtem Ausscheiden aus dem Lehrberuf mit erst 30 Jahren und den Verheerungen unglücklicher Liebe fand Erika Burkart im Haus Kapf erneut Zuflucht bei der Literatur, diesmal der eigenen.

Das spätere Werk

Ab den späten 1960er-Jahren bis zu ihrem Tod 2010 gesellte sich ihr zweiter Ehemann, der 16 Jahre jüngere Publizist Ernst Halter, zu ihr. Und heute, zum 100. Geburtstag der Dichterin, sind vom Haus Kapf her noch einmal Signale zu empfangen: In den letzten dreieinhalb Jahren hat Halter das Buch «Spiegelschrift. Gedichte – die grosse Auswahl» zum Druck vorbereitet.

Im vorliegenden Band haben vor allem Gedichte aus dem späteren Werk Aufnahme gefunden, als die Dichterin um eine neue Sprache rang, welche die Ungereimtheit der Welt, die Unzulänglichkeit des Menschen, Trennung und Tod schon in sich trägt.*

*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

veröffentlicht: 8. Februar 2022 08:32
aktualisiert: 8. Februar 2022 08:32
Quelle: sda

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