Bundesgericht

Islam-Aktion: Thurgauer Polizei begründete Wegweisung mangelhaft

· Online seit 12.12.2020, 10:09 Uhr
Die Kantonspolizei Thurgau hat einen Mann ohne ausreichende Begründung aus dem Stadtzentrum von Kreuzlingen weggewiesen. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Der Mann wollte mit Passanten über den Islam sprechen und Flugblätter verteilen.
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Es ist bereits das zweite Mal, dass das Bundesgericht sich mit der vorliegenden Sache befassen musste. Und wie bereits beim ersten Umgang hat es im am Dienstag veröffentlichten Urteil die Beschwerde des Betroffenen gutgeheissen.

Der Fall geht zurück auf Anfang November 2017. Der Beschwerdeführer und ein weiterer Mann wurden damals von der Kantonspolizei Thurgau kontrolliert. Sie hatten Passanten angesprochen, um mit ihnen über den Islam zu diskutieren und ein Flugblatt abgegeben. Auf ihren T-Shirts stand die Aufschrift «Ist das Leben nur ein Spiel?».

Die Kantonspolizei führte eine Personenkontrolle durch. Sie untersuchte auch das Auto des Beschwerdeführers. Dort fand sie laut Urteil des Bundesgerichts mehrere Exemplare des Korans, weitere Flugblätter, Broschüren, und eine CD mit der Aufschrift «Der edle Koran auf Deutsch, Lies!».

«Dritte erheblich belästigt»

Die Polizei machte Fotos von diesen Gegenständen, stellte sie jedoch nicht sicher. Die beiden Männer wies sie für 48 Stunden aus einem klar definierten Gebiet weg. Sie begründete die Massnahme damit, dass die Männer Dritte erheblich belästigt und sie die Flyers über den Islam ohne Bewilligung an Passanten abgegeben hätten.

Das Bundesgericht hiess die erste Beschwerde des Mannes gut, weil sich in den Akten keinerlei Hinweise auf die Verbindung zur Aktion «Lies!» oder zur Organisation «Die wahre Religion» finden liessen. Die Organisation ist in Deutschland verboten, weil sie als verfassungswidrig eingestuft wird.

Das Thurgauer Verwaltungsgericht musste auf Geheiss des Bundesgerichts den Sachverhalt näher abklären. In der Folge wies es die Beschwerde des Mannes gegen die Wegweisung wiederum ab.

Beweislast missachtet

Das Bundesgericht folgt in seinem Urteil jedoch der Sicht des Beschwerdeführers. Allein der Besitz einer CD mit der Aufschrift «Lies!», lasse unbesehen ihres Inhalts nicht auf eine extremistische Gesinnung und damit auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung schliessen.

Zudem könne aufgrund der Gesinnung einer Person nicht auf eine bestimmte Handlung geschlossen werden - vorliegend die erhebliche Belästigung Dritter. Das Bundesgericht betont, wie bereits in seinem ersten Urteil, dass der Staat die Beweislast trage.

Dessen ungeachtet habe sich die Kantonspolizei offenbar weder für den Inhalt der CD interessiert, noch Zeugen befragt. Dass der Beschwerdeführer versucht habe, für extremistische Ansichten zu werben, lasse sich nicht aus dem Beweismaterial schliessen, das die Polizei nachgereicht habe. (Urteil 1C_515/2019 vom 13.11.2020)

veröffentlicht: 12. Dezember 2020 10:09
aktualisiert: 12. Dezember 2020 10:09
Quelle: sda

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