Verhüllungsverbot

Keller-Sutter: «Dann müsste man alle religiösen Symbole verbieten»

· Online seit 26.02.2021, 08:20 Uhr
Karin Keller-Sutter hat in ihrer Zeit als St.Galler Regierungsrätin ein Vermummungsverbot eingeführt. Jetzt bekämpft sie als Bundesrätin das Verhüllungsverbot. Ist das kein Widerspruch? Im «TalkTäglich» nimmt sie dazu Stellung.

Quelle: TeleZüri

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Die Stimmberechtigten entscheiden am 7. März über ein schweizweites Verhüllungsverbot. Der Bundesrat und das Parlament haben sich gegen die Initiative ausgesprochen und einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der bei einer Ablehnung in Kraft treten würde.

Im «TalkTäglich» nimmt Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) Stellung zur bevorstehenden Abstimmung.

Frau Keller-Sutter, braucht die Schweiz ein Verhüllungsverbot?
Karin Keller-Sutter:
Bei einem neuen Gesetz muss man sich immer zwei Dinge fragen: Ist es nötig? Und welche Wirkung hat es? Dieses Gesetz ist nicht nötig. Sieht ein Kanton ein Problem, kann er selbst entscheiden. Und zur Wirkung: Es würde sich nichts verändern. Weder die Sicherheit würde erhöht werden, noch würden Frauen freier sein.

Wieso ist das Gesetz nicht nötig?
Keller-Sutter:
Ich habe noch nie eine Burka in der Schweiz gesehen. Frauen mit einer Niqab schon eher, aber hauptsächlich an der Zürcher Bahnhofstrasse oder in Genf. Das sind Touristinnen aus den Golfstaaten. In der Schweiz gibt es rund 20 bis 30 Niqab-Trägerinnen. Das sind Schweizerinnen, die zum Islam konvertiert sind.

Tragen diese Frauen denn freiwillig den Schleier?
Keller-Sutter:
Die 20 bis 30 Frauen in der Schweiz machen das aus einer Frömmigkeit. Das sieht man häufig bei Konvertitinnen. Ob es die Touristinnen freiwillig machen, sei dahingestellt. Aber da geht es auch nicht um eine Integrationsfrage für die Schweiz. Wir können und müssen diese Touristinnen nicht befreien.

Als St.Galler Regierungsrätin haben Sie ein Vermummungsverbot eingeführt. Jetzt sind Sie als Bundesrätin gegen ein solches Verbot.
Keller-Sutter:
Wir hatten in St.Gallen am Rande von Sportveranstaltungen ein Problem mit vermummten Personen. Hat ein Kanton ein solches Problem, soll er das selbst lösen können. Alle 17 Kantone, die Grossveranstaltungen oder Mannschaften im Spitzensport haben, haben bereits ein solches Vermummungsverbot. Das Verhüllungsverbot im Kanton St.Gallen kam erst nach meiner Zeit als Regierungsrätin. Und auch hier: Es kam noch nie zur Anwendung.

Weshalb sind Sie denn gegen ein Vermummungsverbot?
Keller-Sutter:
Der Bundesrat achtet auf die Kompetenzhoheit. Die Polizeihoheit liegt bei den Kantonen. Das heisst: Eine Frage des Polizeirechts ist eine Frage für die Kantone. Wir müssen da nicht eingreifen. Bei einer Annahme der Initiative würde es kein Bundesgesetz geben, die Kantone wären einfach verpflichtet, ein solches Gesetz einzuführen.

Aber Ihnen dürfte es auch nicht gefallen, wenn verschleierte Frauen in der Schweiz rumlaufen.
Keller-Sutter:
Es gibt noch viele Sachen, die mir nicht gefallen. Wir leben in einem liberalen Staat. Wir verbieten nicht einfach alles, was uns nicht gefällt. Wir lassen den Leuten die Freiheit, alles zu machen, so lange sie nicht die Sicherheit oder andere gefährden. Man muss auch Sachen aushalten können, die einem nicht gefallen. Vielleicht gefällt irgendjemandem nicht, wie sich orthodoxe Juden kleiden? Kommt dann auch ein Verbot? Denken wir das weiter, müsste man irgendwann konsequenterweise alle religiösen Symbole verbieten.

Werden Frauen zu einer Verschleierung gezwungen, kann Ihnen das nicht gefallen.
Keller-Sutter: Wir müssen uns nicht um Touristinnen kümmern. Wird in der Schweiz einer Frau eine Gesichtsverhüllung aufgezwungen, ist das bereits verboten. Das ist Nötigung und im Strafrecht drin. Wir haben hier dringendere Probleme: Zum Beispiel, dass Frauen Beruf und Familie unter einen Hut bringen können. Oder die Bekämpfung sexueller Gewalt. Ein Verhüllungsverbot ist für die Frauen keine Befreiung in irgendeiner Art und Weise.

Das ganze Interview mit Karin Keller-Sutter und was sie zur E-ID sagt, gibt es im Video. 

(rr)

veröffentlicht: 26. Februar 2021 08:20
aktualisiert: 26. Februar 2021 08:20
Quelle: FM1Today

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