Aussergewöhnliches Urteil

Laubers Berater ist schuldig, bleibt aber straffrei

05.06.2020, 20:03 Uhr
· Online seit 05.06.2020, 18:44 Uhr
Die Berufungskammer in Bellinzona gibt dem Bärenjäger der Bundeskriminalpolizei zu drei Vierteln Recht. Er hat zwar eine Straftat begangen, erhält dafür aber keine Strafe. Die Bundesanwaltschaft steht dumm da.
Andreas Maurer
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Die Richter der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts haben im Bärenjäger-Prozess etwas Aussergewöhnliches getan. Als sie sich zur geheimen Urteilsberatung zurückzogen, hörten sie sich die Tonaufnahmen der Einvernahmen an. Das ist ein Grund dafür, dass es länger dauerte als geplant, bis der Entscheid feststand.

Es hat sich also abgezeichnet, dass es ein besonderes Urteil wird. Doch als die Gerichtsvorsitzende Andrea Blum (SVP) dann den Entscheid verkündet, sind alle baff. Als sie zu Ende ist, bleiben die Parteien still sitzen, bis ein Gerichtsweibel demonstrativ die Tür öffnet.

Der ehemalige Bundeskriminalpolizist mit dem Pseudonym Viktor K., der sich im August 2016 auf eine Bärenjagd in Russland einladen liess, erzielt einen Teilsieg. Das Gericht bestätigt seine Straftat, aber es hebt die Strafe auf. Er wird also faktisch schuldig gesprochen und gleichzeitig symbolisch freigesprochen. Denn sein Verschulden sei «sehr gering». Und durch den Verlust seiner Arbeitsstelle und die internationale Medienberichterstattung sei der 60-jährige Familienvater nach so vielen Jahren im Dienst der Eidgenossenschaft persönlich «schwer betroffen». Er erhält deshalb sogar eine Entschädigung.

Das Gericht übernimmt zudem drei Viertel seiner Kosten. In diesem Verhältnis hat er Recht erhalten. Das Viertel Unrecht besteht darin, dass er die Einladung angenommen hat. Obwohl er am unteren Ende der Hierarchie rangierte, habe er eine Schlüsselfunktion gehabt. So habe er den Verlauf von Rechtshilfeverfahren und Einvernahmen beeinflussen können. Er trat als Berater von Bundesanwalt Michael Lauber auf.

Neues Delikt: Der Beamte liess sich «anfüttern»

Theoretisch sei es möglich gewesen, dass die Einladung der Russen seine Amtstätigkeit hätte prägen können. Praktisch ist dies zwar in keiner Weise erfolgt, wie die Richterin betont. Doch juristisch ist das beim Delikt der Vorteilsannahme egal.

Der Straftatbestand ist relativ jung. Damit soll eine Vorstufe der Bestechung bestraft werden: das «Anfüttern». Genau dies ist in dem Fall gemäss dem Gericht geschehen.

Beamte dürfen Geschenke im Wert von bis zu 200 Franken annehmen. In der Verhandlung wurde darüber gestritten, welcher Wert den Jagdferien beigemessen werden müsse. Die Vorinstanz ging von mindestens 8000 Franken aus. So viel zahlt ein Tourist für den Abschuss eines Braunbären. Viktor K. bezeichnete die Berechnung als «grotesk».

Unfreiwillig lieferte er dem Gericht aber ein weiteres Argument. So erzählte er, dass er mit drei Flaschen Whisky im Wert von etwa 80, 130 und 150 Franken nach Moskau geflogen sei. Damit wollte er sagen, dass er allfällige Vorteile, die ihm die Russen gewährten, mit Gegengeschenken ausgeglichen habe.

Das Gericht dreht nun den Spiess um: Die Preise der Whiskyflaschen würden zeigen, dass der Gegenwert eben doch über 200 Franken liege.

Dennoch versucht Richterin Blum, den Beschuldigten zu rehabilitieren. Indem sie ihn zwar nicht von Schuld, aber von einer Strafe freispricht, entfällt ein Eintrag ins Strafregister. Die Richterin erklärt es aufmunternd, um ihm wieder eine Berufsperspektive aufzuzeigen.

Der Angeklagte kann sich über den Erfolg nicht freuen

Viktor K. schlendert nach der Urteilsverkündung mit seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau durch die sonnige Altstadt von Bellinzona. Er trägt einen Anzug, sie ein blaues Sommerkleid. Grund zur Freude sieht das Paar keine, im Gegenteil. Er sagt: «Das Urteil ist eine totale Enttäuschung.» Dass das Gericht seine Erzählung mit dem Whiskygeschenk umgedreht habe, grenze an Perversion, meint er. Ein Teilsieg nütze ihm nichts:

So hinterlässt das Urteil nur Verlierer. Die erste Instanz des Bundesstrafgerichts muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den Fall zu wenig genau beurteilt zu haben und Ungereimtheiten in den Einvernahmen überhört zu haben. Das Gericht kritisiert zudem die Bundesanwaltschaft, die das Verfahren gegen Laubers Ex-Berater zum allgemeinen Erstaunen selber geführt hat. Die Ermittlungen hätten «unverhältnismässig lange» gedauert und die Untersuchungsführung sei «nicht ideal» gewesen.

veröffentlicht: 5. Juni 2020 18:44
aktualisiert: 5. Juni 2020 20:03
Quelle: CH Media

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