Vermischtes

Mutmasslicher IS-Unterstützer vor dem Bundesstrafgericht

08.09.2020, 19:29 Uhr
· Online seit 08.09.2020, 17:57 Uhr
Beim Auftakt zur Hauptverhandlung im Prozess der Bundesanwaltschaft gegen Azad M. bestritt der Beschuldigte die Vorwürfe.
Gerhard Lob aus Bellinzona
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Pünktlich um 9 Uhr begann am Dienstag vor Bundesstrafgericht in Bellinzona die Hauptverhandlung gegen den 52-jährigen Azad M. Die Bundesanwaltschaft (BA) legt ihm zur Last, wahrscheinlich ab 2014, «spätestens aber ab Mitte 2016 ein von der Schweiz aus operierendes Mitglied der verbotenen terroristischen Organisation Islamischer Staat (IS)» gewesen zu sein. Die Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollen im Gericht waren massiv.

Azad M., leicht untersetzt und schwarzer Vollbart, erschien in dunklen Kapuzenpullover - im Publikum eine Reihe von Verwandten. Er wuchs im Irak mit 10 Geschwistern auf.  Gesundheitlich gehe es ihm nicht gut, gab er zu Protokoll. Und legte ein Attest auf den Tisch. Seit über drei Jahren sitzt er in Untersuchungs- beziehungsweise Sicherheitshaft. Er war am 11. Mai 2017 in der Asylunterkunft der Gemeinde Eschlikon TG verhaftet worden. Zuvor war er über Monate observiert und abgehört worden. «Ich wusste, dass ich festgenommen werde», sagte er wie ein Mantra am ersten Prozesstag, genauso wie den Satz: «Diese Behauptung hat mit der Realität nichts zu tun».

Anstiftung zu Selbstmordattentat

Die BA legt ihm zur Last, zahlreiche Aktivitäten zugunsten des IS entfaltet zu haben. Darunter die versuchte Anstiftung seiner über Facebook angeheirateten Frau Fatima H. im Libanon zu einem Selbstmordattentat im Namen des IS, die wiederholte Finanzierung des IS mit einem Gesamtbetrag von rund 17'000 Franken sowie die Rekrutierung und Schleusung zum IS von mehreren Personen. Auch beschuldigt wird er der zustimmenden Entgegennahme der Anweisung eines IS-Führungsmitglieds zur Vorbereitung von terroristischen Anschlägen in der Schweiz. Gravierend schliesslich der Vorwurf des Herstellens und Lagerns von Gewaltdarstellungen, darunter etliche grausame Videos aus dem IS-Umfeld. Weiter wird der Angeklagte des Sozialhilfebetrugs sowie des Autofahrens trotz Führerausweisentzugs beschuldigt.

Während seiner Einvernahme wurde Azad M. mit etlichen Transkriptionen seiner Telefongespräche und Chat-Unterhaltungen konfrontiert, welche wenig Zweifel an seinen Sympathien für den IS und den Märtyertod offenlassen. Für den Beschuldigten handelte es sich in der Regel aber nur um «leeres Gerede». Das sei Spass gewesen und könne nicht ernst genommen werden.  Teilweise lachte der Beschuldigte beim Vorspielen der Tondokumente.

«Ich habe keinem Schweizer Leid zugefügt»

Der Beschuldigte bezeichnete sich als gläubigen Muslims sunnitischer Ausrichtung. Die Behauptung seiner ehemaligen Frau, sich radikalisiert zu haben, wies er zurück: «Es gibt keine Radikalen, es gibt nur Gläubige und Heuchler.»  Er habe früher einfach seine eigene Religion nicht verstanden.

Azad M. lebt seit 1998 mit Unterbrüchen in der Schweiz. Auf die Frage, was er von der Demokratie in der Schweiz hielt, wich er aus, genauso wie auf viele andere Fragen. Doch er sagte: «Ich habe keinem Schweizer Leid zugefügt.» Die 98 Seiten starke Anklageschrift, die für ihn eigens ins Kurdische übersetzt worden war, wies er vollumfänglich zurück: «Alle Beschuldigungen sind falsch und haben nichts mit der Realität zu tun.»

Datum des Urteils noch nicht bekannt

Steffen Lau, Chefarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, wurde auf Wunsch der Verteidigung am Nachmittag als sachverständiger Zeuge befragt. Er bescheinigt dem Beschuldigten «eine dissoziale Persönlichkeitsstörung» mit einem gewissen Risiko für extremistische Gewalt. Er sei in seiner eigenen Welt gefangen. Dabei sei er ein «Anstifter, aber selbst nicht aggressiv.» Die Hauptverhandlung wird heute mit den Plädoyers der Parteien fortgesetzt. Das Datum der Urteilseröffnung steht noch nicht fest.

veröffentlicht: 8. September 2020 17:57
aktualisiert: 8. September 2020 19:29
Quelle: CH Media

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