Schweiz

Nach Begrenzungsinitiative: Bundesrat will seine Position in nächsten Wochen klären

27.09.2020, 19:09 Uhr
· Online seit 27.09.2020, 16:09 Uhr
Mit dem Nein zur Begrenzungsinitiative der SVP stellt sich das Schweizer Stimmvolk ein weiteres Mal hinter den bilateralen Weg. Der Bundesrat will seine Position «in den nächsten Wochen» klären und der EU mitteilen.
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(sat/lo) Deutliche 61,7 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten haben am Sonntag die Begrenzungsinitiative verworfen. Nur gerade vier Kantone sprachen sich dafür aus. Damit ist klar: Die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union muss nicht neu verhandelt werden. Dennoch ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Bern und Brüssel noch nicht vom Tisch. Vielmehr werden die Diskussionen hierzulande über die EU-Frage – und allen voran jene über ein institutionelles Rahmenabkommen – wieder an Fahrt gewinnen.

Der Bundesrat werde nun die Gespräche mit der EU über ein Rahmenabkommen wie angekündigt wieder aufnehmen, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am frühen Sonntagabend vor den Medien in Bern. Und sie versprach: «Der Bundesrat wird die Position der Schweiz in den nächsten Wochen festlegen.» Dann würden auch die offenen Punkte wieder zur Sprache kommen. Näher ging Keller-Sutter auf das Vorgehen nicht ein.

Sozialpartner über weiteres Vorgehen uneins

Auf diesen Entscheid warten in der Schweiz auch die Parteien und insbesondere die Sozialpartner. «Der Lohnschutz, und ganz allgemein die flankierenden Massnahmen, wurden durch diese Abstimmung gestärkt», sagte Pierre-Yves Maillard, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, am Sonntag laut Mitteilung. Der SGB untermauert damit seine kritische Haltung für die nun erneut anstehende Debatte über ein Rahmenabkommen. «Ein Abbau des Lohnschutzes und die damit verbundenen Verschlechterungen für die Schweizer Bevölkerung wären nicht akzeptabel», so der SGB.

Eine «zügige» Klärung der offenen Fragen bezüglich Lohnschutz, staatlichen Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinie fordert am Sonntag der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Für den Arbeitgeberverband hat der Bundesrat nun «einen unmissverständlichen Volksauftrag», um das Heft beim Rahmenabkommen «wieder in die Hand zu nehmen». Derweil steht für den Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) «die Diskussion um eine mehrheitsfähige Position zum Institutionellen Rahmenabkommen» nun im Fokus. Gemäss SGV haben die Sozialpartner dem Bundesrat «einen unter ihnen mehrheitsfähigen Lösungsansatz» unter­breitet.

Brisant dabei: Anders als im Abstimmungskampf gegen die SVP-Initiative sind die Sozialpartner in der Frage des bereits seit 2018 vom Bundesrat fertig ausgehandelten Rahmenabkommens nämlich gespalten. Das machte zuletzt ein am Freitag bekannt gewordener Brief vom August an die Landesregierung klar. Demnach haben sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch in monatelangen Gesprächen nicht auf eine Haltung einigen können.

«Nicht nur Niederlage für SVP, sondern für ganzes Land»

Von den Gegnern der Begrenzungsinitiative reagierte die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder am Sonntag «sehr erleichtert» auf den Abstimmungssieg. Damit stelle sich das Schweizer Stimmvolk ein weiteres Mal hinter die Personenfreizügigkeit. Zudem werde damit die – allerdings umstrittene – Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative durch das Parlament legitimiert, sagte Markwalder zu Radio SRF.

«Das ist nicht nur eine Niederlage für unsere Partei, sondern für unser ganzes Land», sagte dagegen SVP-Präsident Marco Chiesa in einer ersten Stellungnahme am «Abstimmungshöck» der Pro-Kampagne in Rothrist. «Die masslose Einwanderung wird uns jedoch auch weiterhin beschäftigen», prophezeite er gegenüber Radio SRF. Zumindest zu Hause im Tessin hat der SVP-Ständerat einen Sieg eingefahren. Im Südkanton sagten 53,1 Prozent der Stimmberechtigten Ja. Ebenso Ja gesagt haben am Sonntag die Kantone Schwyz, Glarus und Appenzell-Innerrhoden.

Tessin nimmt Begrenzungsinitiative nur knapp an

Justizministerin Keller-Sutter wandte sich am Sonntag vor den Bundeshausmedien auf Italienisch auch an die Tessinerinnen und Tessiner. Dabei bat sie um Verständnis für den bilateralen Weg und appellierte an die Bevölkerung der Südschweiz: «Wir sitzen alle im gleichen Boot.» Der Polentagraben dürfe nicht überschätzt werden.

Vor sechs Jahren, bei der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, lag der Ja-Anteil im Tessin mit 68,2 Prozent allerdings noch deutlich höher. Auch diesmal dürfte die sogenannte Grenzgängerfrage im Südkanton den Ausschlag gegeben haben. Im Abstimmungskampf hatte die SVP argumentiert, zu viele Menschen minderten den Wohlstand aller. Und die Personenfreizügigkeit mit der EU sei zu teuer für die Sozialwerke.

veröffentlicht: 27. September 2020 16:09
aktualisiert: 27. September 2020 19:09
Quelle: CH Media

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