Fall Abdullah

Richterin senkt die Strafe für den Ex-Islamisten

26.06.2020, 13:38 Uhr
· Online seit 26.06.2020, 12:54 Uhr
Ein Mitgründer des Islamischen Zentralrats wird in einem Punkt vom Vorwurf der Terrorpropaganda freigesprochen. Wegen des Besitzes grausamer Bilder wird er aber verurteilt. Dabei sind die Bilder teilweise öffentlich zugänglich auf Wikipedia.
Andreas Maurer
Anzeige

K. C., 35 Jahre alt, tippt sich mit seinen rot lackierten Fingernägeln gegen die Stirn, als Bundesstrafrichterin Miriam Forni (SP) das Urteil vorliest. Sie beurteilt seine Vergangenheit. Damals verkehrte er in der Islamistenszene und nannte sich Abdullah. Er war ein Gründungsmitglied des Islamischen Zentralrats Schweiz. Inzwischen hat er sich vom Extremismus abgewandt und lebt seine feminine Seite aus, die er zuvor verdrängt hat.

Der Aussteiger hat sich mehr erhofft: eine Reinwaschung. Die Richterin schwächt das Urteil aber lediglich ab. Sie wandelt die von der Bundesanwaltschaft verhängte Freiheitsstrafe von einem halben Jahr in eine Geldstrafe um. Die Strafe ist ohnehin bedingt, wird also nur fällig, falls er innert zweier Jahre rückfällig wird. Zudem spricht sie ihn in einem Punkt vom Vorwurf der Terrorpropaganda frei.

Doch der Schuldspruch und die Rechnung mit den Verfahrenskosten bleiben. Das von der Bundesanwaltschaft im Schneckentempo geführte Verfahren hat Anwaltskosten von 20'000 Franken ausgelöst, wovon der Verurteilte drei Viertel zurückzahlen muss – falls er je die Mittel dazu hat.

Bundesanwaltschaft hat ein falsches Verständnis von Propaganda

Den Freispruch spricht die Richterin für ein Terror-Propaganda-Video, das er 2014 einem Bekannten per Whatsapp geschickt hat. Die Bundesanwaltschaft hat in diesem Punkt gleich zwei Fehler gemacht. Erstens hat sie das Video als Verstoss gegen das IS-Gesetz angeklagt, das damals noch gar nicht in Kraft war. Eine damals geltende Al-Kaida-Verordnung wäre zwar anwendbar, doch hier kommt der zweite Fehler. Propaganda bedeutet gemäss dem Bundesstrafgericht, dass man viele Leute von einer Ideologie überzeugen will. Eine private Botschaft an einen Einzelnen wie die Whatsapp-Nachricht zählt nicht dazu.

Historische Bilder können illegal sein, wenn sie aus dem Kontext gerissen werden

Bei auf Facebook geposteten Bildern ist das anders. Deshalb bestätigt das Gericht die beantragten Schuldsprüche in diesem Bereich. Ein Beispiel ist dabei besonders interessant.

K. C. hat in einem Whatsapp-Gruppenchat ein Bild aus dem Algerienkrieg erhalten, das von seinem iPhone automatisch gespeichert wurde. Die Fotografie zeigt abgeschnittene menschliche Köpfe. Das Spezielle in diesem Zusammenhang ist: Das Bild ist auf Wikipedia zu finden und dennoch ist der Besitz verboten.

Die Aufnahme ist zwar vom Verbot von Gewaltdarstellungen grundsätzlich ausgenommen, weil es von historischer Bedeutung ist. Dieser Schutz gilt aber nur, solange das Bild sich in diesem Kontext befindet. Wird es herausgerissen, wird es zur illegalen Gewaltdarstellung.

Dumm gelaufen

Für den 35-Jährigen bedeutet dieser Schuldspruch doppeltes Pech. Hätte er Whatsapp auf seinem iPhone so konfiguriert, dass die Bilder nicht automatisch in seiner Fotobibliothek abgelegt werden, hätte er nicht wegen Besitz von Gewaltdarstellungen verurteilt werden können.

Zudem ist er der einzige Teilnehmer des Gruppenchats, der bestraft wird. Die Polizei durchstöberte sein Gerät, weil sie es bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt hat. Der Grund für die Razzia war aber ein anderer: Eine private Facebook-Nachricht, die nicht strafbar ist, weil sie nicht öffentlich war.

Mit hängenden Schultern trottet der Mann, der seine Vergangenheit loswerden wollte, aus dem Gericht. Nun geht die Auseinandersetzung weiter. Er wird Berufung anmelden, wie er auf Anfrage sagt.

veröffentlicht: 26. Juni 2020 12:54
aktualisiert: 26. Juni 2020 13:38
Quelle: CH Media

Anzeige
Anzeige