Schweizer Städte

Sozialhilfe als Existenzsicherung für Geflüchtete

· Online seit 27.10.2020, 09:30 Uhr
In den Schweizer Städten geht rund die Hälfte der Sozialhilfe an Ausländer. Diese sind nicht nur übervertreten, sondern beziehen auch länger Sozialhilfe. Ein Grund dafür sind mangelnde Integrationsangebote.
Peter Walthard
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Wer in einer Schweizer Stadt Sozialhilfe beansprucht, tut dies heute im Durchschnitt elf Monate länger als vor zehn Jahren. Dies hat die Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit für den jährlichen Bericht der «Städteinitiative Sozialhilfe» errechnet, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Eine Rolle spielt dabei, dass unter den Sozialhilfebezügern immer mehr Ausländer sind. Sie machen heute mehr als die Hälfte aller städtischen Sozialhilfebezüger aus: 2019 betrug ihr Anteil 51,6 Prozent, 2015 waren es noch 49,1 Prozent gewesen.

Die Krux dabei: Im Schnitt bleiben Ausländer länger in der Sozialhilfe als Schweizer. Insbesondere, wenn sie aus Afrika oder einem asiatischen Land stammen. So bezieht die Hälfte der afrikanischen Sozialhilfebezüger schon seit mehr als zwei Jahren Sozialhilfe. Der Grund dafür liege nicht nur im grösseren Armutsrisiko, dass sich aus den schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt ergebe, kommt die Studie zum Schluss. In gewissen Fällen sei die Sozialhilfe, die eigentlich als Überbrückung für eine Notlage gedacht sei, zur langfristigen Existenzsicherung für Geflüchtete geworden.

Ausbildung und Sprache bringt Geflüchtete aus der Sozialhilfe

Die lange Bezugsdauer afrikanischer und asiatischer Sozialhilfebezüger erklärt die Studie damit, dass es sich bei Menschen aus diesen Herkunftsregionen oft um Geflüchtete handle und nicht um Menschen, die als Arbeitskräfte rekrutiert worden und so in die Schweiz gekommen seien. In die bestehenden Sozialsysteme, etwa die Invalidenversicherung, seien diese Menschen nicht integriert. Ausserdem werde in vielen Kantonen wenig für eine schnelle Integration getan.

Die Sozialhilfe übernehme so im Flüchtlingsbereich Aufgaben, für die sie eigentlich nicht gedacht sei. Die Erfahrung zeige aber auch, dass die Bezugsdauer bei Geflüchteten zwar insgesamt länger sei, ihre Chancen für einen Ausstieg aus der Sozialhilfe aber nicht schlechter seien, vorausgesetzt dass sie die Möglichkeit hätten, die Sprache zu lernen und sich auszubilden.

Die längere Bezugsdauer gehe hauptsächlich auf das Konto bestimmter Fälle und sei kein genereller Trend, so die Studie weiter. Insgesamt habe das Jahr 2019 in den meisten Städten eine leichte Entlastung und damit sinkende Sozialhilfequoten gebracht.

Verschiebung in die Agglo: Grosstädte werden für Arme zu teuer

Am meisten Sozialhilfebezüger finden sich nach wie vor in den Städten der Westschweiz. Biel bleibt mit einer Sozialhilfequote von über 10,7 Prozent die Sozialhilfehauptstadt der Schweiz, auch wenn sich die Anzahl unterstützter Personen 2019 um 1,6 Prozent verringert hat. Unmittelbar darauf folgt Lausanne mit 7,6 Prozent. Im Gegensatz zu Biel gibt es dort aber einen markant positiven Trend: Seit 2017 sinkt dort die Fallzahl, 2019 nahm der Anteil unterstützter Personen um 4,3 Prozent ab.

In der restlichen Schweiz zeigt sich ein durchzogenes Bild. In den grossen Städten Basel und Zürich ging die Anzahl unterstützter Personen laut der Studie leicht zurück, Anstiege verzeichneten dagegen kleinere Städte mit bisher tiefen Sozialhilfequoten wie etwa Uster, wo letztes Jahr 7,7 Prozent mehr Menschen Unterstützung durch die Sozialhilfe in Anspruch nahmen, die Quote mit 1,8 Prozent aber sehr tief ist.

Gemäss der Studie widerspiegeln sich in solchen Zahlen verschiedene Faktoren: Zum einen hätten Städte mit einer starken Zentrumsfunktion generell eine höhere Sozialhilfequote, dagegen stünden in Grossstädten die steigenden Wohnungspreise, so etwa in Zürich oder Bern. Agglomerationsstädte mit Zentrumsfunktionen, in denen es noch günstigen Wohnraum gebe, könnten deshalb ebenfalls hohe Sozialhilfequoten aufweisen. So betrug die Sozialhilfequote in Winterthur letztes Jahr 5,5 Prozent und lag damit deutlich über jener der Stadt Zürich, die 4,5 Prozent betrug.

veröffentlicht: 27. Oktober 2020 09:30
aktualisiert: 27. Oktober 2020 09:30
Quelle: CH Media

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