Ständeratskommission will Arbeitnehmerschutz lockern

15.02.2019, 12:00 Uhr
· Online seit 15.02.2019, 11:34 Uhr
Für einen Teil der Arbeitnehmenden soll der Arbeitnehmerschutz gelockert werden: Sie sollen nach Jahresarbeitszeitmodell arbeiten - ohne wöchentliche Höchstarbeitszeit.
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Trotz Kritik in der Vernehmlassung hält die Wirtschaftskommission des Ständerates (WAK) daran fest.Mit 10 zu 3 Stimmen hat sie einen Gesetzesentwurf angenommen, wie Kommissionspräsident Pirmin Bischof (CVP/SO) am Freitag vor den Medien sagte. Die Vorlage geht auf eine parlamentarische Initiative von Konrad Graber (CVP/LU) zurück.

Die WAK nahm sie ohne Änderungen an, behält sich aber vor, nach der Stellungnahme des Bundesrates noch Korrekturen vorzunehmen. Das Ergebnis der Vernehmlassung sei «nicht gerade berauschend», räumte Bischof ein. Die Kommission sei sich dessen bewusst. Es bestehe aber Handlungsbedarf. Die WAK wolle den Änderungen in der Arbeitswelt Rechnung tragen.

Von den Neuerungen betroffen wären Arbeitnehmende mit einer Vorgesetztenfunktion sowie Fachpersonen, die über wesentliche Entscheidbefugnisse in ihrem Fachgebiet verfügen. Wie viele diese Kriterien erfüllen, ist umstritten.

Die Schätzungen gehen weit auseinander. Gemäss einer Auswertung der Schweizer Arbeitskräfteerhebung könnten 1,4 Millionen Personen oder bis zu 38 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betroffen sein.

Die Betroffenen könnte der Arbeitgeber künftig einem Jahresarbeitszeitmodell unterstellen. Damit fiele für sie die gesetzlich festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit weg.

Im Jahresdurchschnitt dürften jedoch höchstens 45 Stunden pro Woche gearbeitet werden, und per Ende Jahr dürften maximal 170 Mehrstunden resultieren. Diese wären mit einem Zuschlag von 25 Prozent auszuzahlen oder im Folgejahr zu kompensieren.

Gelockert werden sollen auch die Bestimmungen zur Ruhezeit. Diese könnte mehrmals in der Woche bis auf neun Stunden herabgesetzt werden, sofern die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von vier Wochen eingehalten wird. Für Sonntagsarbeit wäre keine Bewilligung erforderlich, wenn der Arbeitnehmer die Sonntagsarbeit nach eigenem freiem Ermessen erbringt.

Heute beträgt die Höchstarbeitszeit je nach Branche 45 oder 50 Stunden. Für bestimmte Betriebe und Arbeitnehmende kann sie zeitweise um höchstens vier Stunden verlängert werden. Die Ruhezeit kann heute einmal in der Woche von elf auf acht Stunden herabgesetzt werden, sofern die Dauer von elf Stunden im Durchschnitt von zwei Wochen eingehalten wird.

Die Kommission hatte einen zweiten Entwurf in die Vernehmlassung geschickt, der auf eine parlamentarische Initiative der früheren St. Galler FDP-Ständerätin und heutigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter zurückgeht. Dieser sieht vor, dass der Arbeitgeber für die gleichen Gruppen von Arbeitnehmenden auf die Erfassung der Arbeits- und Ruhezeit verzichten kann.

Damit würde eine Lockerung erweitert, die 2016 in Kraft getreten ist. Gemäss dieser entfällt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitnehmende, die einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind, der dies vorsieht, sofern sie mehr als 120'000 Franken pro Jahr verdienen.

Die WAK will erst später entscheiden, ob sie an einer weiteren Lockerung festhält. Sie will die laufende Evaluation des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zur Umsetzung des geltenden Verordnungsartikels abwarten. Das Ergebnis soll im Herbst vorliegen.

In der Vernehmlassung sind beide Entwürfe der Kommission schlecht angekommen, insbesondere bei den Kantonen. Keine der kantonalen Behörden sprach sich ohne Vorbehalte für beide Entwürfe aus. Dem Entwurf «Graber» stimmten nur gerade vier Kantone zu.

Von den Parteien sprachen sich FDP, SVP und GLP für beide Vorlagen aus, SP und Grüne lehnten beide ab. Die CVP stimmte mit Änderungswünschen zu. Die Arbeitgeberorganisationen unterstützen die Vorlagen in den Grundzügen, die Arbeitnehmerorganisationen lehnen sie ab. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) droht bereits mit einem Referendum.

Aus Sicht der Gegnerinnen und Gegner ist das geltende Recht genügend flexibel. Im internationalen Vergleich seien die Arbeitszeiten in der Schweiz bereits lang, argumentieren sie. Die Änderungen hätten negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden.

Die Kantone befürchten erschwerte Bedingungen für den Vollzug und stellen die Praktikabilität in Frage. Der Gesetzesentwurf enthalte viele unklare Begriffe, welche keiner juristischen oder statistischen Kategorie entsprächen - etwa der Begriff «Fachpersonen». Auch sei unklar, was mit «wesentlichen Entscheidbefugnissen» gemeint sei.

veröffentlicht: 15. Februar 2019 11:34
aktualisiert: 15. Februar 2019 12:00
Quelle: SDA

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