Trotz Reformen

Steuerflucht, russische Gelder – der Finanzplatz Schweiz ist undurchsichtig

17.05.2022, 15:39 Uhr
· Online seit 17.05.2022, 15:33 Uhr
Nirgends wird so viel ausländisches Geld verwaltet wie hierzulande – und vieles davon stammt nach wie vor aus Russland. Experten fordern nun mehr Transparenz von Seiten der Schweizer Finanzinstitute. Auf politischer Ebene tut sich bereits etwas.
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Die Schweiz sei hinter den Vereinigten Staaten von Amerika der undurchsichtigste Finanzplatz der Welt, lautet der Vorwurf. Er stammt von «Alliance Sud», einem Zusammenschluss mehrerer Schweizer Entwicklungsorganisationen mit Sitz in Bern. Der Verein bezieht sich dabei auf den am Dienstag veröffentlichten «Schattenfinanz-Index» der renommierten Organisation «Tax Justice Network» (TJN). Und tatsächlich: Auf dem Index landet die Schweiz auf Platz 2, vor Singapur und Hongkong.

Unser Rechts- und Finanzsystem schränke den Spielraum für das Finanzgeheimnis nur schwach ein, hält TJN in seinem Bericht fest. Dass dies Vermögende aus aller Welt hierhin lockt, auch solche mit dubiosen Absichten, liegt folglich auf der Hand. Tatsächlich wird laut «Alliance Sud» in keinem anderen Land der Welt so viel ausländisches Vermögen verwaltet wie hierzulande: Ende 2020 waren es 3600 Milliarden Schweizer Franken.

Nur ein kleiner Teil russischer Gelder ist eingefroren

Von dieser horrenden Summe ist nicht jeder Franken sauber. «Alliance Sud» schlussfolgert, dass der Finanzplatz Schweiz einer der attraktivsten in Bezug auf Steuerhinterziehung,  Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sei. Da würden auch die Reformen der letzten zehn Jahre nicht viel bewirken: «Der Finanzplatz gehört immer noch zu den undurchsichtigsten weltweit», schreibt «Alliance Sud»-Finanzexperte Dominik Gross in einer Medienmitteilung.

Er fordert vor allem eins: mehr Transparenz – und zwar dringend. Die aktuelle Finanzsituation verhindere es nämlich, aktiv nach den sanktionierten Vermögen russischer Oligarchen zu suchen. Gross verweist auch auf das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), laut welchem aktuell nur 6,3 Milliarden Franken russisches Vermögen gesperrt seien.

Gelder auf Schweizer Konten fehlen in der Heimat

«Seit April haben die Banken sogar eine Milliarde bereits wieder freigegeben», ergänzt Gross. Insgesamt würden wohl aber mindestens 150 Milliarden aus Russland auf Schweizer Bankkonten liegen. Mit schärferen Gesetzen und mehr Transparenz, ist «Alliance Sud» überzeugt, liessen sich auch diese Gelder ausfindig machen.

Ein zweiter Punkt, der nebst russischen Staatsangehörigen auch vielen Bürgern aus Entwicklungsländern in die Karte spielt: Die Schweiz hat mit solchen Staaten immer noch keinen automatischen Informationsaustausch über Bankkundendaten eingerichtet. Steuerhinterziehende aus diesen Ländern haben deshalb in ihrer Heimat kaum etwas zu befürchten. «Diese Länder hätten die Steuergelder aber dringend nötig", so Gross. «Denn der Ukraine-Krieg hat in vielen von ihnen eine Nahrungsmittelkrise ausgelöst.»

Schweiz soll aktiv nach russischen Geldern suchen

Gross und die «Alliance Sud» sehen nun das Parlament in der Pflicht zu handeln und weitere Reformen voranzutreiben. Tatsächlich fordert eine Motion im Nationalrat eine Gesetzesvorlage für mehr Transparenz, damit die Behörden die Besitzer von Briefkastenfirmen oder Offshore-Konstrukten erfassen können.

Was den Ukraine-Krieg betrifft, so will ein Nationalrats-Vorstoss vom Bundesrat wissen, wie er sanktionierte Vermögen in Zukunft aufspüren und konfiszieren will. Hierfür solle die Schweiz einer internationalen Task-Force beitreten, die aktiv nach russischen Geldern sucht. Sei dies geschehen, so könne man die Vermögensgelder für den Wiederaufbau der Ukraine einsetzen.

veröffentlicht: 17. Mai 2022 15:33
aktualisiert: 17. Mai 2022 15:39
Quelle: Today-Zentralredaktion

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