Vor 100 Jahren stiess Bümpliz zu Bern

28.12.2018, 09:59 Uhr
· Online seit 28.12.2018, 09:36 Uhr
Am 1. Januar 1919 schloss sich das frühere Bauerndorf Bümpliz der Stadt Bern an. Der Zusammenschluss war mehr Zweck- denn Liebesheirat. Auch 100 Jahre nach der Eingemeindung tickt der Westen anders als die übrige Stadt.
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Vor den westlichen Toren Berns herrschte bis Mitte des vorletzten Jahrhunderts eine ländliche Idylle mit fruchtbaren Äckern und Kuhweiden. Bernburger zogen zur Sommerfrische auf ihre Landsitze. Wohlhabende Bauern betrieben entlang des Stadtbachs herrschaftliche Gutshöfe.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts geriet die 1832 gegründete Gemeinde Bümpliz in den Sog der Industrialisierung. Die wirtschaftliche Hochkonjunktur in der Stadt Bern - etwa dank dem Eisenbahnbau - führte zu einer massenhaften Zuwanderung von Arbeitskräften.

Die Neuzuzüger fanden in Bümpliz günstigen Wohnraum. In der Folge verdoppelte sich dort die Einwohnerzahl. Die ländliche Gemeinde war jedoch von der rasanten Verstädterung überfordert, wie der Historiker und frühere Stadtarchivar Emil Erne in «Bümpliz-Bethlehem: zugehörig und doch anders» schreibt.

Angesichts des raschen Bevölkerungswachstums fehlte Bümpliz das Geld für die nötigen Infrastrukturen wie Schulen oder Strassen. Denn die Neuzuzüger spülten keine zusätzlichen Einnahmen in die Gemeindekasse. Damals zahlte man seine Steuern noch am Arbeitsort und nicht am Wohnort.

Die Berner Stadtregierung stand der Übernahme des finanzschwachen Nachbarn anfänglich skeptisch gegenüber. Gerne hätte man als Kompensation besser gestellte Vororte wie Muri, Köniz und Ittigen übernehmen wollen. Für die Eingemeindung von Bümpliz sprach hingegen der Gewinn einer beträchtlichen Landreserve im Westen.

So sagten die Stimmberechtigten beider Gemeinden schliesslich im Herbst 1918 deutlich Ja: Bern mit 7559 zu 2901 und Bümpliz mit 631 zu 17. Mit dem Anschluss an Bern war Bümpliz zwar seine finanziellen Sorgen los, doch verlor es seine Autonomie. Alle Bümplizer Behörden legten ihre Mandate nieder, aber die Stadt Bern baute die Mitgliederzahl von Stadt- und Gemeinderat im Gegenzug nicht aus.

Zur Eingemeindung schenkte die Stadt den Bümplizern einen neugotischen Brunnen, der zuvor vor der Heiliggeistkirche gestanden hatte. Auf eine Inschrift, die an die Vereinigung mit Bern erinnern sollte, verzichtete man aus Rücksicht auf die Skeptiker. Inzwischen ist der «Dorfbrunnen» aber Teil der Bümplizer Identität.

Das diffuse Unbehagen, von der «Stadt» stiefmütterlich behandelt zu werden, blieb bei den Alteingesessenen aber noch lange spürbar. Der Abwehrreflex manifestierte sich auch bei der Abstimmung 2003 zum Tram Bern West, das von allen Stadtteilen klar befürwortet wurde – ausser den betroffenen Quartieren Bümpliz und Bethlehem.

Dass dieser Stadtteil politisch rechtskonservativer tickt als die rotgrünen Stadtquartiere, zeigt sich auch am Beispiele der Reitschule. So stellt sich Bümpliz/Bethlehem bei Abstimmungen zum umstrittenen Kulturzentrum jeweils als einziger Stadtteil gegen die Ja-Mehrheit.

Allergisch reagieren die Bümplizer auf die Aussenwahrnehmung als schläfrige Trabantenstadt oder gar «Ghetto». Dieses Klischee bröckelt spätestens seit dem grossen Stadtfest vom Sommer 2016. Rund 120'000 Menschen strömten am mehrtägigen Event in die westlichen Aussenquartiere.

Viele Stadtberner entdeckten wohl erstmals den verborgenen Charme und die kulturelle Vielfalt ihres mit rund 35'000 Einwohnern grössten Stadtteils: Vom historischen Bümplizer Dorfkern über die multikulturellen Hochhaussiedlungen in Tscharnergut und Gäbelbach bis hin zum neuen Mittelschichts-Trendquartier Brünnen-Westside.

veröffentlicht: 28. Dezember 2018 09:36
aktualisiert: 28. Dezember 2018 09:59
Quelle: SDA

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