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Wattestäbchen einschicken und die «Wer-bin-ich»-Frage beantwortet kriegen

24.11.2020, 19:40 Uhr
· Online seit 24.11.2020, 16:04 Uhr
Firmen bieten immer kostengünstiger sogenannte Lifestyle Gentests an. Aus der eigenen DNA sollen Tipps für bessere Ernährung und effizientere Traningsmethoden gewonnen werden. Oder Hinweise auf die regionale oder ethnische Abstammung. Diese neuen Möglichkeiten werfen aber medizinische, rechtliche und moralische Probleme auf. TA-Swiss hat sie in einer Studie untersucht.
Christoph Bopp
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«Erkenne dich selbst» - eine der vielen Weisheiten, die den Apollon-Tempel in Delphi zierten. Gemeint war: Der Mensch möge in sich hineinblicken und seine Möglichkeiten und Beschränkungen erkennen. In der Moderne kann man das auch – und womöglich tiefer. Dank technischer Hilfe. Wir können unseren DNA-Code einsehen, gewissermassen die Bauanleitung unseres Selbst.

Bis vor einigen Jahren war das Science-Fiction, dann wurde es langsam technische Möglichkeit, war aber sauteuer. Jetzt steht die Lektüre seines Genoms allen Willigen offen. Sogenannte DTC-Analysen (direct-to-consumer) werden im Internet angeboten. In der Schweiz ist die Sache ziemlich streng reglementiert, die einschlägigen Firmen operieren deshalb vorzugsweise aus dem Ausland.

Ein Text von drei Milliarden Buchstaben

Das menschliche Erbgut (Genom) besteht aus einem Doppelstrang von Basenpaaren und umfasst etwa 3 Milliarden Basen. Das sind gewissermassen die Buchstaben des genetischen Codes. Abschnitte darin dienen als Bauanleitung für gewisse Proteine, man sagt dann: Sie codieren für das bestimmte Protein. Das sind die Gene, gewissermassen die Wörter des Codes. Wofür die Buchstaben dazwischen stehen, ist nicht restlos geklärt. Einige Sequenzen dürften sicher als Steuerungszeichen dienen. Ist der ganze Text ausgelesen, ist das Genom sequenziert.

Menschen stimmen hinsichtlich ihrer DNA zu ungefähr 99,5 Prozent miteinander überein. Als Genotypen sind wir ziemlich identisch. Als Phänotypen, das, was aus den Genen produziert worden ist, sind wir weniger gleich. Die Beziehung zwischen Genotyp und Phänotyp ist denn auch das, was Menschen interessiert.

Leider meist kein Gen-Merkmal-Verhältnis

Man kann das Verhalten und das Aussehen von Menschen mit ihrem Genom vergleichen. Das Verhältnis ist allerdings nicht 1:1 – indem jedem Gen ein Merkmal zugeordnet werden könnte und umgekehrt –, sondern weit komplizierter. Solche Vergleiche liefern nur Wahrscheinlichkeiten, keine sicheren Aussagen. Aussagekräftig sind zum Beispiel Augenfarbe (für blau oder braun bis zu 95 Prozent), Haarfarbe und -beschaffenheit oder die Hauptfarbe.

Die Stiftung für Technologiefolgenabschätzung TA-Swiss hat eine Studie gemacht über die sogenannten Lifestyle Gentests. Die Leute bestellen sie, um aufgrund ihrer Genprofile Empfehlungen für Ernährungs- oder Trainingspläne abzuleiten. Ein zweites Interesse sind Nachforschungen zur eigenen Herkunft. Nicht nur Ahnen- oder Abstammungsforschung, sondern auch aus welchen Weltgegenden die Vorfahren kamen und welchen Ethnien sie angehörten. Ein drittes Interesse der Studie richtete sich auf die sogenannte DNA-Phänotypisierung, ein Ermittlungsverfahren der Polizei, mit dem aus einer DNA-Spur auf gewisse Körpermerkmale geschlosssen wird.

Kriege ich jetzt möglicherweise eine schwere Krankheit?

Mit der leichteren Verfügbarkeit der Sequenzierungstechnik ist auch die Grenze zwischen medizinischen und nicht-medizinischen Anwendungen immer diffuser geworden. Aus den DNA-Profilen lassen sich nicht nur Hinweise auf den Stoffwechsel für eine bessere Ernährung, sondern auch Dispositionen für gewisse Krankheiten herauslesen. Auch hier geht es um Prozentzahlen, die nicht immer leicht einzuordnen sind. Wie soll man mit einer unter Umständen negativen Prognose umgehen? Meist werden die Ergebnisse ohne persönliche Beratung abgegeben.

«Hier braucht es exemplarisch eine Technologiefolgenabschätzung», meinte Reinhard Riedl, Mitglied des Leitungsausschusses von TA-Swiss, insbesondere da ein institutioneller Gestaltungsrahmen für solche Gentests fehle.

Was fangen die Leute mit den Ergebnissen an?

«Man erhält sehr viele Informationen,» sagte Alexander Lang vom Projektteam vom Institut für höhere Studien IHS, Wien. Und wie viel und was die Leute davon verstehen würden, sei ziemlich unklar. Die Ergebnisse würden oft sehr vereinfachend und pauschalisierend mitgeteilt – und vor allem die Möglichkeit von persönlicher Beratung. Nicht befriedigend seien Datenschutz und -sicherheit. Bei Herkunftsfragen seien immer auch Dritte involviert, wenn es um Verwandtschaftsbeziehungen geht. Das könnte Familien gefährden.

Die Datenbanken der Forschung dienen nicht nur für Genomassoziationsstudien, um Merkmale abzufragen, sondern auch als Hintergrundabgleich. Da sind zusätzliche Daten immer willkommen. Und die Firmen würden sie auch gerne verkaufen. Nicht immer werden die Spender in allen Belangen um Einwilligung gefragt.

Ein Phantombild aus einer Datenspur ist völlig unrealistisch

Es sei «völlig unrealistisch», aus einer DNA-Datenspur ein Phantombild zu generieren. Die DNA-Phänotypisierung, aus der DNA auf bestimmte Merkmale zu schliessen, sei nur polizeiliche Ermittlungsmethode verwendbar. Und dann eher, um den Kreis Tatverdächtiger einzuschränken als eine Täterbeschreibung zu gewinnen. Man könne so recht effizient, gewisse pauschale Falschbeschuldigungen vermeiden.

Die TA-Swiss empfiehlt, die Nutzungspraxis dieser Gentests eingehender zu erforschen. Wichtig sei, die Informationspraxis der Anbieterfirmen international zu verbessern. Es ist für einen Laien schwer einzuschätzen, was genau diese Informationen zu seinem Genom für ihn bedeuten würden. Wünschbar wäre eine eingehendere Aufklärung über die Datennutzung und eine kleinteiligere Einwilligungsmöglichkeit der Betroffenen. Lifestyle Gentests einzuschränken, sei nicht sinnvoll. Dass Menschen «ihre Gesundheit in die eigenen Hände nehmen» möchten, dagegen sei sicher nichts einzuwenden.

veröffentlicht: 24. November 2020 16:04
aktualisiert: 24. November 2020 19:40
Quelle: CH Media

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