Wegen diesem Bild rückte gar die Rega aus

04.07.2017, 20:01 Uhr
· Online seit 04.07.2017, 19:20 Uhr
Im Kanton Uri kam es zu einem Einsatz der besonderen Art. Eine Frau deutete das Flackern einer Lampe als Notrufsignal und schlug Alarm. Erst als die Rega von der Luft aus die Felsen absuchte, wurde das Rätsel aufgelöst.
Laurien Gschwend
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Als sich Tobias Ryser am Sonntagabend auf den Weg von Rapperswil in den Kanton Uri machte, ahnte er nicht, was ihn in den nächsten Stunden erwarten würde. «Wahrlich besser als ein Krimi», sagt er rückblickend. Es war nicht Rysers erste Reise ins Urnerland. Für die Bergfotografie sei «ein so schöner Kanton wie Uri» geradezu prädestiniert, sagt er. Vor allem der Göscheneralpsee und die Region rund um den Urnersee hätten es ihm angetan. Am besagten Sonntag, 25. Juni, war der Ostschweizer jedoch auf dem Klausenpass unterwegs.

Schon beim Aufstieg von der Passhöhe habe er nicht schlecht gestaunt, als er von weitem den Ruf des Wachtelkönigs vernahm, erzählt Ryser. Der auf Naturfotografie spezialisierte Fotograf weiss, wie selten eine Begegnung mit dem speziellen Vogel in diesem Gebiet ist. «Er befand sich wohl im Schutz der Hochstaudenflur auf der Durchreise», sagt Ryser. Umso erfreuter habe er den Rufreihen des Wachtelkönigs gelauscht. Nachdem er den steilen Aufstieg bewältigt und sich am Zielort, rund 450 Höhenmeter oberhalb des Hotels Klausenpass, eingefunden hatte, sei sein Staunen weitergegangen. «Der Bogen der Milchstrasse umspannte perfekt den in den Himmel ragenden Felszahn», erzählt Ryser, noch immer ergriffen von der Szenerie. «Die mondlose Nacht und der vom vorangegangenen Regen klargewaschene Himmel – meine Bildidee war perfekt aufgegangen.»

In der Stille der Bergnacht richtete sich der Rapperswiler sich ein und begann zu fotografieren. Dabei positionierte er sich jeweils auf dem Felszahn, um auch Teil des Sujets mit der Milchstrasse über dem Balmer Grätli zu werden, und drückte den Auslöser per Fernbedienung. «Als die ersten Bilder am Kameradisplay aufleuchteten, durchströmten mich Glücksgefühle, die wohl nur diejenigen ganz verstehen können, die selber diesen Wahnsinn betreiben und mitten in der Nacht mit schwerem Gepäck Orte anwandern, um den perfekten Moment einfangen zu können.» Als vom Tal herauf wieder der Wachtelkönig ertönte, war sein Glück perfekt.

Einen heissen, frisch gebrauten Kaffee später entdeckte Ryser weiter unten auf der Passstrasse ein Fahrzeug, welches mit Blaulicht die Serpentinen hochfuhr. Er habe sich dabei nichts gedacht und sich an die nächste Bildkomposition gemacht, die etwas unterhalb lag, erzählt der Fotograf. Dabei musste er hinter einer Felswand herumschlüpfen und konnte wenig später auf der Felskrete wieder ins Tal blicken.

Nach dem Blaulicht folgt der Helikopter

Das Fahrzeug stand jetzt rund 400 Höhenmeter unterhalb von Ryser an Ort und Stelle. «Die suchen wohl jemanden», habe er sich noch gedacht, als er plötzlich von einem starken Scheinwerfer geblendet wurde, wie er erzählt. Instinktiv habe er seine Lampe abgestellt und sich auf den Boden gekauert. Der Scheinwerfer tastete die Bergflanke ab, und Ryser überlegte angestrengt, was die wohl suchen. Plötzlich habe er ein Megafon gehört, aber nicht, was vom Tal her hinauf kommuniziert wurde. «Wohl eine Übung», habe er sich gedacht. «Ich wollte endlich wieder in Ruhe weiterfotografieren.» Also habe er sich kurz hinter die Felswand verzogen, bis das Fahrzeug wenig später verschwunden war. «Schon speziell», dachte sich der 36-Jährige und widmete sich wieder der Fotografie.

Er habe den seltsamen Zwischenfall schon beinahe vergessen, als um 5 Uhr von weiter Ferne ein Helikopter zu vernehmen war, der talaufwärts in Rysers Richtung flog und mit hellem Scheinwerfer die Bergflanke unter ihm absuchte. Runden fliegend habe sich der Heli auf seine Höhe emporgeschraubt. «Als ich sah, dass es ein Rega-Heli war, war mir sofort alles klar: Die suchen mich!» Mit dem Handy filmend habe er dem fliegenden Koloss Zeichen gegeben, dass es ihm gut gehe. Die Crew verstand, drehte ab und flog in Richtung Tal davon.

Dieses Video vom Rega-Einsatz postete Tobias Ryser auf Facebook:


Posted by Tobias Ryser Fotografie on Montag, 26. Juni 2017

Der Fotograf wählte sofort die Notfallnummer der Rega, um zu bestätigen, dass alles okay sei hier oben. «Der freundliche Mann in der Einsatzzentrale wusste schon alles: meinen Namen, Standort und dass ich am Fotografieren bin», erzählt Ryser. Der Mann habe ihm dann erklärt, dass jemand das Licht seiner Stirnlampe in den Felswänden sah und als Hilferufe deutete. Daraufhin sei die Urner Kantonspolizei aufmarschiert und habe versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Da dies nicht gelungen war, habe diese dann die Rega aufgeboten. «Mit einem Lachen sagte ich noch: ‹Ich habe Kaffee dabei, mir geht es gut.›»

Zu Hause angekommen, habe er der Rega ein E-Mail geschrieben und den Vorfall geschildert. Ryser bedankte sich ausserdem für den Einsatzflug. Auch bei der Kantonspolizei Uri habe er sich telefonisch bedankt und dabei ein «tolles Gespräch» mit dem Polizeikommandanten geführt.

Wandbilder als Dankeschön für die Rega und die Kapo Uri

Ryser ist auch Tage später noch immer gerührt von dem Vorfall. «Zu merken, dass man so umsorgt wird, geht mir sehr ans Herz.» Als Dankeschön für diesen und alle weiteren Einsätze, welche die Rega und die Kantonspolizei Uri für alle Bergfreunde machen, will Ryser der Rega und der Kantonspolizei Uri das entstandene Foto schenken – als Wandbild in der Grösse von 30 auf 70 Zentimeter. «Wir werden bestimmt ein schönes Plätzchen für das Wandbild finden», sagt Gusti Planzer, Stabschef der Kantonspolizei Uri, auf Anfrage.

Text von Carmen Epp, «Urner Zeitung», erschienen am 4. Juli 2017

veröffentlicht: 4. Juli 2017 19:20
aktualisiert: 4. Juli 2017 20:01

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